Wallfahrtskirche Maria Weißenstein © Ingeburg Gurndin

Der Fernwanderweg E5 im südlichen Teil Südtirols

von Helmuth Scartezzini, AVS-Referent für Wege (Bergeerleben 4/2022)

Der Europäische Fernwanderweg mit dem Kürzel E5 begeht heuer sein 50-jähriges Bestehen. Dieser 3.200 km lange Fernwanderweg nimmt seinen Ausgang in der Bretagne am Atlantik und endet eigentlich in Verona, nachdem von dort an die Adria (Venedig) Wanderwege fehlen. Am bekanntesten ist der Abschnitt vom Bodensee nach Meran bzw. Bozen angesehen. Der Wegverlauf nach den Königsetappen über den Alpenhauptkamm endet abrupt in Jenesien, wohl in der damaligen Annahme der Benützung der inzwischen stillgelegten Seilbahn im Dorf Jenesien. Damit überspringt die ursprüngliche Route die Stadt Bozen und beginnt wiederum an der Bergstation der nun täglich im Halbstundentakt verkehrenden Seilbahn Bozen – Kohlern, die als erste Bergschwebebahn Europas im Jahr 1908 gilt. Der Wanderer erleichtert sich somit um den Abstieg nach Bozen sowie den Aufstieg um wiederum 900 Meter Höhenunterschied.

Das Dorf Deutschnofen mit dem Weißhorn © Ingeburg Gurndin

Der Weg ab Kohlern

Damit beginnt der südlichere Abschnitt des E5 im Weiler Bauernkohlern (1.110 m), um über Deutschnofen und Truden in 2 oder 3 Etappen nach Gfrill (1.330 m), einem Weiler oberhalb Salurn, zu gelangen. Bei 2 Etappen wählt der Wanderer in Oberradein eine Übernachtung, bei der angenehmeren 3-tägigen Variante zuerst in Maria Weißenstein, dem berühmtesten Wallfahrtsort Südtirols seit 470 Jahren, sodann im Bergdorf Truden. Die Route verlauft anfänglich am Regglberg, einem Hochplateau benannt nach der Einteilung in „Riegeln“ (Vierteln) in den beiden Gemeinden Deutschnofen und Aldein.

Deutschnofen, auf 1380 Metern gelegen, besitzt die meisten jährlichen Sonnenscheinstunden im Lande, da horizonteinschränkende Berge weit entfernt liegen. Die Wanderwege hier sind fast ausnahmslos breitere Waldwege oder Forststraßen mit sanften Steigungen. Der gesamte beschriebene Abschnitt erfordert keinerlei bergsteigerische Fähigkeiten, etwas Ausdauer wird benötigt. Der Wegverlauf führt anfänglich überwiegend durch Kiefern-Fichtenwälder und nur im Umkreis der Siedlungen von Deutschnofen und Radein im freien Wiesengelände. Damit entgehen dem Wanderer Einblicke in die abwechslungsreicheren Rodungsinseln der charakteristischen Einzelhöfe des Gebietes. Weite Bereiche des zu erwandernden sanft-welligen Berghochlandes im Höhenbereich von 1.200 bis 1.500 Metern sind vom Lavagestein der Bozner Quarzporphyrplatte gebildet. Die Wege bestehen vielfach aus Porphyroder Kalkschotter, nur im Bereich der Ortschaften von Deutschnofen, Ober- und Unterradein, Kaltenbrunn und Truden sind Straßen mit Asphalt befestigt.

Im Wegverlauf nach Maria Weißenstein liegen 2 nennenswerte Abstiege vor. Zum einem rund 100 Meter Abstieg zum Bletterbach (Geopark des Dolomiten UNESCO-Welterbes) hinunter zum sogenannten Taubenleck, wo das Auge des Wanderers einen Einblick in die geologische Entstehung und den Aufbau der Dolomiten erhascht. Der weitere Abstieg um 500 Meter Höhenunterschied folgt nach dem von lichten Lärchenwiesen eingefassten Weiler Radein (1.550 m) hinunter zum Einschnitt von Kaltenbrunn.

Im Naturpark Trudner Horn

Danach tritt die Route ins Gebiet des Naturparks Trudner Horn ein mit seinen Fichten-, Tannen-, und Buchenwäldern bis etwa 1.300 Meter, darüber gefolgt von Fichten- und Tannenwäldern. Nach dem Bergdorf Truden führt der Weg zur Trudner Horn Alm, dem höchsten Punkt (1.720 m) des gesamten Abschnittes.

Danach senkt sich der Verlauf immer in Wäldern hinunter zum Weiler Gfrill (1.330 m), Ziel der Etappen im südlichen Abschnitt Südtirols. Der weitere E5-Verlauf führt über einen Forstweg an die Provinzgrenze und danach über eine lange einsame Waldstrecke am Höhenrücken des Salurner Berges zum reizvollen Lago Santo auf 1.200 Metern, um sodann ins Cembratal abzusteigen und dort den Charakter einer Höhenwanderung zu verlieren.

Naturkundliche Kleinodien

Etwas abseits des E5 liegen naturkundliche Kleinodien wie die Trudner Bergwiesen, Almmatten um das Weißhorn oder Moorseen am Trudner Horn. Panoramaausblicke sind längs der Route immer wieder auszumachen, anfänglich zwischen Kohlern und Deutschnofen auf die Dolomitenketten des Latemar und Rosengarten. Auf langen Strecken wird die Sicht auf die Zwillingsberge des Weißhorn (aus Dolomitgestein aufgebaut) neben dem Schwarzhorn (2.400 m, aus Porphyr bestehend) begleitet. Gegen Osten weitet sich der Blick auf den Kamm der Fleimstaler Berge (Lagorai), im Westen hinter dem Mendelkamm auf das Brentamassiv und bei klarer Fernsicht bis zu vergletscherten Gipfeln des Ortlergebietes (Cevedale).

Der beschriebene Abschnitt ist mit Ausnahme der Monate Dezember bis Ende April begehbar. Der Höhenzug in Richtung Latemarkette erhält vielfach im Winter schneereichere Niederschläge als die nähere Umgebung. Einzelne Teilstrecken sind in dieser Jahreszeit gespurt (mit oder ohne Schneeschuhe), so zwischen Kohlern und Deutschnofen und zwischen Truden und Gfrill zum Trudner Horn. Am Weg selbst finden sich einzelne Einkehrmöglichkeiten, mit kleineren Varianten lasst sich die Auswahl erhöhen. Nur 2-mal muss eine verkehrsreiche Straße überquert werden. Die Einfachheit und Entschleunigung als Faszination des Weitwanderns erlebt der Besucher in diesem Gebiet auf jeden Fall.

Moore, Weißhorn, Weißenstein, E5 © Ingeburg Gurndin; Lärchenwiese © Anna Pichler; Bletterbach © Geoparc

Beiträge rund ums AVS-Magazin „Berge erleben“