Botzer © Stephan Illmer

Aus der Bergeerleben-Serie zu den Südtiroler Berg- und Flurnamen

von Johannes Ortner (Bergeerleben 5/2023)

Arundakopf (2.879 m)

Im Oberen Vinschgau, zwischen dem Avingatal und dem Almtal von Schleis, erhebt sich der leicht zu ersteigende Arundakopf. Er lieh einer Kulturzeitschrift und einem Tschögglberger Sekt seinen alpenromanischen Namen. Benannt ist der Arundakopf nach dem Schleiser bzw. Laatscher Almtal Arunda. Noch tiefer liegen die Bergwiesen z’Arunda (< „zu Arunda“) mit dem „alten Haus“ (1.565 m), heute eine kleine Schupfe. Dort stand einst der ganzjährig bewirtschaftete Arundahof. Der Hof und die ihn umgebende Weide sind 1287 als „pasqua Ayrunda“ erwähnt. Der Bach aus dem Schleiser Alptal heißt bereits 1292 „aqua Airunda“. 1578 werden die Buckelwiesen von Arunda noch als Döss da Runda (Arunda-Bichl) erwähnt. Der Flurnamen leitet sich von romanisch *aira redunda „runder Almleger“ ab.

Botzer (3.251 m)

Beim Botzer handelt es sich um einen steil aufragenden Felsgipfel zwischen den Bergweiden von Timmels (Hinterpasseier) und den Senner Egeten (Ridnaun). Ableitungen zum Gipfelnamen sind der Botzerferner und die Botzerscharte. Die erste dokumentierte Besteigung (von Ridnaun aus) erfolgte am 16. Juli 1874 durch Theodor Petersen und Alois Ennemoser. Woher kommt der Name Mundartlich sagen ältere Passeirer zum Geißbock heute noch „Potzer“ bzw. „Wotzer“. Es ist nicht abwegig, im Felsgipfel einen gehörnten Bock zu erkennen, außerdem sind Flurnamen wie „Bockberg“, „Bockseit“, „Bocker“ usw. häufig.

Nornspitz/Orn (2.717 m)

Dies ist der Namen eines Gipfels in den Pfunderer Bergen zwischen den Hochtälern Gansör (Mauls) und Labiseben (Vals). Ableitungen davon sind der in einer Mulde liegende Nornsee (Mauls) und die Weide Nornseitl (Vals). Dieser Berggipfel ist insofern interessant, als er gleich mehrere Namen und Aussprachevarianten zu bieten hat! Im Josephinischen Steuerkataster Ende des 18. Jhs. erscheint der Gipfel als Ornspitz. Die Valler nennen ihn Eorn, mit Betonung auf dem „e“. Das anlautende „n“ wurde irgendwann als Präposition „an, in“ aufgefasst und falsch abgetrennt. Der lange „o“-Laut wird in Vals, Meransen und Terenten als /eo/ ausgesprochen, es heißt dort z. B. do Peodn bzw. Pe-udn („Boden“) oder reot („rot“) usw. Vom Wipptal aus wird „Orn“ bzw. „Eorn“ jedoch Nornspitz (mundartlich Nourn- bzw. Norrnschpitz) genannt. Wie sind diese Namenformen Norn, Orn usw. zu deuten? Ihnen liegt das vorrömische Wort *norr- „rauher Felskopf“ zugrunde. Am Partschinser Sonnenberg heißt eine vorspringende Felskuppe Ornknott (2.215 m). Auf ihn trifft die Bedeutung „Felskopf“ besonders gut zu. Eine auffällige Häufung von „Norrn“ ist im äußeren Ötztal und in der Umgegend von Telfs im Oberinntal festgestellt worden.

Domenastspitz (2.301 m)

Der obgenannte Nornspitz erscheint in einer Quelle von 1900 als Domenarspitz. Dieser Name – Domenar – könnte Frucht einer Verwechslung sein. Zwischen Senges (Trens) und Gansör (Mauls), also in der Nähe des Nornspitzes, gibt es den Domenastspitz oberhalb der Domenasthütte. Diese steht wiederum im Bergmahd Domenast (mundartlich Domenaascht). Der Name Domenast lässt sich zweifellos als „Aaschte eines Thoman“ (= Thomas) lesen. Aaschte (Aste) ist ein häufiger Flurname, der auf Schafweiden hindeutet und sich von althochdeutsch ouwiste „Schafhürde“ ableitet. Um nämlich den Berg im Frühsommer von unten nach oben und im Spätsommer von oben nach unten sukzessive zu beweiden (und damit auch zu düngen), wurden mobile Schafhürden, die „Aaschtn“, errichtet und immer wieder versetzt. Der Namentyp Aaschte (Aste) erscheint in Ortsnamen wie Astfeld und Asten im Sarntal oder im Astjoch (Ehrenburg/ St. Lorenzen).

Sassongher (2.665 m)

Markanter Felsgipfel oberhalb von Kolfuschg, auf dessen Spitze die Katastralgemeinden Kolfuschg, Corvara und Abtei zusammentreffen. Die zahlreichen Ableitungen lauten: Büja, Pares, Roes, Cinch de Sassongher sowie Forcela und Tors dl Sassongher. Der Name des „heiligen Berges der Ladiner“ (so Egon Kühebacher) steht möglicherweise mit einem vorrömischen Brandopferplatz in Zusammenhang, ganz ähnlich wie beim Schlern. Solche „heidnischen“ Opferplätze wurden nach der Christianisierung tabuisiert und mit dem Etikett „Hexe“ und „Teufel“ versehen. Tatsächlich befindet sich nordöstlich vom Sassongher auf 2.230 Metern eine flache, grasbewachsene Schulter, der Plan dles Stries („Hexenboden“). Urkundliche Belege: 1002–1004 Sas Sosunder, 1831 Sas Songer, um 1840 Sosander, um 1900 Sassonger. Der Erstbeleg könnte eine Verschreibung für *Sasso Sunder bzw. *Sasso Sunger sein. Aufgrund des kultischen Charakters des Berges könnte „Sassongher“ auf vorrömisch-indogermanisch *sónguro- „singend“ zurückgehen. Vgl. dazu indogermanisch *songuho-s „Gesang“ bzw. *senguh- „singen“. Später wurde *songer mit dem alpenromanischen Substantiv *sassu „Fels“ (ladinisch sas „Stein, Fels“) zu „Sass Songher“ erweitert, mit der Bedeutung „singender Fels“. Die Etymologie des Verbs „sin[1]gen“ hat mit dem heutigen „singen“ nur bedingt etwas zu tun. Ursprünglich bedeutete „singen“ so viel wie „rezitieren, kultisch sprechen, prophezeien, anrufen“. Vom Berggipfel des Sassongher oder von seinen Flanken aus könnten einst Opfergesänge bzw. Beschwörungen getätigt worden sein.

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Der Name Sassongher geht vermutlich auf einen vorrömischen Brandopferplatz zurück © Karin Leichter

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