Der Wasserkopf (3.135 m) © Ingrid Beikircher
Aus der Bergeerleben-Serie zu den Südtiroler Berg- und Flurnamen
von Johannes Ortner (Bergeerleben 3/2023)
Im Gebirge ist der Speicher unseres Wassers – kalt und klar tritt es an den Quellhorizonten zutage und rieselt munter über Stock und Stein. Hie und da wird besonders gutes Brunnenwasser über eine hölzerne Rindl in einen Trog geleitet, um müde Bergsteiger:innen zu erquicken. Die beiden Trockenwinter 2021/22 und 22/23 führten uns deutlich die Bedeutung des Wassers vor Augen. Wasser ist (fast) überall – und daher ist es gar nicht so selbstverständlich, dass das nasse Element Flur- und Bergnamen aufbaut. Wirft man jedoch einen Blick auf die alpine Sprachgeschichte, stößt man auf viele, sehr alte Wasserwörter.
Wasserkofel (2.924 m) und Wasserstuhl / Sas dal’Ega (2.643 m)
Diese beiden Gipfel der Geislergruppe befinden sich an der Grenze zwischen Villnöß und Gröden. Südlich vorgelagert sind die Wasserscharte / Forcela dal’Ega (2.642 m) und das Wasserrinnental, auf Grödnerisch Val dala salieries. Im Felsenreich der Bleichen Berge ist oberflächennahes Wasser selten, das Wasserrinnental bildet diesbezüglich eine Ausnahme und dieser Umstand wird namentlich hervorgehoben.
Wasserkopf (3.135 m)
Dieser Gipfel der Rieserfernergruppe liegt zwischen dem Gelltal (Rein in Taufers) und dem zu Gais gehörenden Mühlwalder Talile. Die nördliche Bergflanke des Wasserkopfes war früher vergletschert, der Gipfel ist also nach dem wasserreichen Gebiet benannt.
Obwasserer (2.905 m)
Dieser Gipfel liegt am Felskamm zwischen dem Frankbach- und dem Keilbachtal, beides Seitentäler des Ahrntales. In der Teldra Mundart heißt der Gipfel „do Öwåssra“. Er befindet sich oberhalb von Felsriegeln, über welche die Gletscherbäche hinabschäumen, also „ob’ Wasser“.
In Südtirol gibt es auch 3 Wasserfallspitzen
Der erste Wasserfallspitz (2.652 m; mda. do Wåssofållschpitz) ragt steil über Kematen bei Sand in Taufers auf und ist um 1900 als „Wasserfall Spitze“ belegt. An seiner Nordflanke liegt der Wasserfallgraben (im Atlas Tyrolenis 1770 „Wasserfall B.“) mit seinem markanten Ofålla („Abfaller“ = Wasserfall). Der zweite Wasserfallspitz (2.742 m; mda. dr Wåssrfållschpitz) liegt südseitig über Prad im Vinschgau oberhalb der Wasserfallböden bzw. den Wasserfallen, die viel tiefer den Tschrinbach bilden. Er wird vom Landestopografen Staffler in den 1840er-Jahren als Wasserfallspitze bezeichnet. Der Pisciadù (2.985 m) mit seinem berühmten Klettersteig ist schließlich auch ein Wasserfallgipfel, denn Gadertalisch pisciadù bedeutet „Wasserfall“. Der namengebende Wasserfall des Rü de Pisciadù ergießt sich nach Norden in Richtung Kolfuschg.
Wasserfallspitze (2.652 m) © Ingrid Beikircher
„Rumauntschani“ Wassernamen
Im Obervinschgau stößt man auf viele alpenromanische Flurnamen, darunter sind einige mit dem Namenbestandteil „ava“, was auf Bündnerromanisch „Wasser“ bedeutet. Beispiele dafür sind die Matscher Flurgegend Avaplatta „Wasserplatte“ sowie die Tauferer Örtlichkeiten Avazass „Steinbach“, Praseraves „Wiese jenseits des Wassers“ sowie Tantaraves, was in etwa „zwischen den Wassern“ bedeutet. Letztere Örtlichkeit befindet sich zwischen der äußeren und inneren Laaf, ein Bachname, der selbst wahrscheinlich aus „l’ava“ („das Wasser“) gebildet wurde. Bleiben wir im Vinschgau: Eine kleine Häusergruppe unterhalb Gomagoi heißt Beadawåsser „beide Wasser“, ein treffender Name, denn der Weiler liegt beim Zusammenströmen der beiden Fernerbäche aus Sulden und Trafoi. Unwillkürlich kommt einem die deutsche Stadt Koblenz (< lat. confluentia „Zusammenfluss“) in den Sinn. Ein Abstecher nach Ladinien: Die Häusersiedlung am Zusammenfluss von Enneberger Bach und der Gader trägt den Namen Zwischenwasser, auf ladinisch Longega „entlang des Wassers“.
Vorrömische Wassernamen
Als besonders reichhaltig entpuppt sich die Hydro-Toponymie der vorrömischen Alpensprachen. Das bündnerromanische ava geht auf vorrömisch *apa „Wasser“ zurück, von dem sich die Alm- und Bergnamen Upi und Upikopf (3.174 m; Matsch) ableiten. Im einsamen Hochtal befindet sich die Upilåck! Das Grundwort *apa konnte mit verschiedenen Suffixen erweitert werden. Eines davon, das Suffix -osa/-osu, drückt Beschaffenheit aus: *apjosa (area) bedeutet „wasserreiche Gegend“. Mit den Bergweiden namens Pjussen im Zerzer Tal (Burgeis) haben wir dann auch einen Flurnamen, der auf diese Weise erklärt werden kann. Die nahe gelegenen Gewässer Grün- und Schwarzsee untermauern diese Deutung. Eine andere Suffixableitung zu *apa lautet *apulja. Damit kann der Hinterpasseirer Weilernamen Pill (1288: in Pille) mit seinen Wasserfällen erklärt werden. Das vorrömische *apulja „Wassergegend“ wurde über alpenromanisch *pulja zu mittelhochdeutsch Pülle und schließlich zum heutigen Pill. Die von 2 Seiten vom Meer umspülte Halbinsel Apulien hat ihre Bezeich[1]nung natürlich auch von dieser indogermanischen Wortwurzel. Auffallend sind in Südtirol Quellnamen vom Typ Pils u.Ä., wie z. B. in Telfes (Gemeinde Ratschings), wo in der Örtlichkeit Pils das Pilswasser (Achtung: keine Bierquelle!) entspringt. Im hintersten Lüsen oberhalb des sogenannten Legers befindet sich die Quellflur Trockapols und in Ulten bildet die schindelgedeckte Höfegruppe von Pilsen ein schönes Fotomotiv. All diese Namen beinhalten das vorrömische *buljo „Quelle, Trog; wallendes Wasser“. Auch der Name Trafoi leitet sich von *tre vuljo „drei Tröge“ ab, womit ursprünglich 3 Viehtränken bei den 3 Siedlungskernen benannt wurden, aber nicht die Heiligen Drei Brunnen weiter im Talinneren. Die größte Gletscherfläche der Stubaier Alpen ist der berühmte Übeltalferner in Ridnaun. Es liegt nahe, bei diesem Namen an ein „übles Tal“ zu denken, aus dem durch wiederholte Eisvorstöße Gletscherstuben ausbrachen und Ridnaun „übel“ verwüsteten. Das „Übeltal“ scheint jedoch mit dem Namen einer tiefer liegenden Erhebung, dem Ippilaskofel (2.364 m; mit dem Ippilasgrobm) in Zusammenhang zu stehen. Und dieses „Ippilas“ könnte wiederum eine Ableitung zu *apa Wasser“ bzw. *apja „Wassergegend“ darstellen. Den Benennungsanlass liefert in diesem Fall der periodisch anschwellende Ferner- oder Mareiter Bach.
Unterinn und Unni
Ein anderes Wasserwort entstand aus der Ableitung von indogermanisch *ud- „benetzen, befeuchten, fließen“, das in einer indogermanischen Einzelsprache des Alpenraums *udnja „am Wasser befindliche Gegend“ ergeben haben könnte. Dieses *udnja konnte im Alpenromanischen zu *unja werden, aus dem der Rittner Ortsname Inn – genauer gesagt die Ortsnamen Ober- und Unterinn – gebildet werden konnte. Unterinn liegt in der Tat zwischen dem Eschenbach und dem Gasterer Bach, Oberinn zwischen dem Wangener Bach und dem Emmersbach. Der Eschenbach wird vom aufgestauten Wolfsgrubner See gespeist und trieb seit alters Mühlen, später Sägen, Schmieden und Rädermacher-Werkstätten an. Die Marteller Alm- und Berggegend Unni (in den Karten „Nonnen“, entstanden durch Agglutination (Verschmelzung) der Präposition „in“ mit „Unn“ > Nunn > Nonne) mit den Ableitungen Nonnenferner, Nonnenscheiben und Nonnenspitz geht wohl ebenfalls auf vorrömisch *unni „Wassergegend“ zurück.
Verdings und Verdins
Wallendes Wasser liegt auch den Ortsnamen Verdings, Verdins (vorrömisch *fritinjo „wallendes Wasser“, wahrscheinlich von der Einkehr eines Wasserwaals; vgl. lat. fretum „Wasserschwall“), Viersch (*firro „rinnend, laufend“) und Birra (alter Name der Ahr; zu *bhers „laufen“) zugrunde. Die Reise durch die reichhaltigen vorrömischen Wasserwörter beschließt der vorrömische Begriff *sala „Rinnsal“, der im Flurnamen Salwiese (St. Felix/ Deutschnonsberg), im Bachnamen Saldur (Matsch), im Hofnamen Saldern (mda. Såldëirn; Hinterpasseier; mit dem großen Salderner Bach) sowie in den Ortsnamen Maria Saal (Ritten) und Saalen/Sares (St. Lorenzen) steckt.
Dürrgenstein (2.839 m) © AVS
Trockene Gebiete
Der Mangel an Wasser hat die Alpenbewohner durchaus erfinderisch gemacht, wie das kapillare Netz der Vinschger Waale belegt, das in den 1930er-Jahren noch eine Gesamtlänge von über 1.000 Kilometern aufwies. Neben wasserreichen wurden auch trockene Gebiete mit Flurnamen versehen. Die mundartliche Bezeichnung für trocken lautet „truckn“ bzw. „durr“. Der Dürrenstein (2.839 m; mda. Durrnschta-n) oberhalb der Plätzwiese in Prags trägt die Trockenheit im Namen. Es handelt sich um einen Felsgipfel, an dessen Fuß sich wasserarme trockene Bergweiden ausdehnen. Der Name kann aber auch eine Analogie zum Dürrensee sein. Dieser See befindet sich unterhalb des Berges. In heißen Sommern oder nach schneearmen Wintern trocknet er nahezu aus. Ebenfalls in den Dolomiten liegt die Seiser Alm und die Plattkofelschwaige, wo sich Bergweiden namens Sassëch (Sassegg) ausdehnen. Dieses Toponym leitet sich von Grödnerisch sas „Stein“ und sëch „dürr“ ab und bedeutet insgesamt „Dürrer Stein“. Andere Berggipfel, die auf Trockenheit deuten, sind der Durreck (3.135 m) zwischen Rein in Taufers und dem Ahrntal. Der Felsgrat ragt oberhalb der Durra Alm im Knuttental auf. Flurnamen mit dem Bestandteil Durra („Dürrach“) sind häufig. Sie beziehen sich in den meisten Fällen wohl nicht auf eine dürre Gegend, sondern auf „geschwendete“ Bäume, deren Rinde mit einem „Schepser“ abgeschabt wurde. Mit der Zeit sind diese „Dürrlinge“ abgestorben und das rasch trocknende Holz konnte sogleich zu Bauholz weiterverarbeitet werden. Durra ist der Name einer Höfegruppe in Ulten, die Durralm befindet sich hinter Aberstückl/Sarntal, die Örtlichkeit Durra liegt am Gasteiger Sattel (Villanders), einen Durraspitz (1.963 m; auch Wieslspitz) gibt es zwischen Gospeneid und dem Seiterberg im Jaufental (Gemeinde Ratschings), ein Durragraben findet sich hinter Huntsdorf/Weitental (Gemeinde Vintl). Wiesenfluren namens Durra kennt man in Lappach, im Almtal Versell (Gsies) und in Antholz/Niedertal. Der Durraspitz (3.065 m) in Antholz oberhalb des Antholzer Sees ist nach der tiefer gelegenen Flur Durra benannt; und einen Durrakopf (2.024 m; auch Burgstallegge) gibt es schließlich an der Grenze zwischen Prags und Olang.