Blick von der Eisseespitz zum Eisseepass © Stephan Illmer
Aus der Bergeerleben-Serie zu den Südtiroler Bergnamen
Bei den Südtiroler Berg- und Flurnamen gibt es zahlreiche Bezeichnungen, die sich auf Winter, Kälte und Eis beziehen.
von Johannes Ortner (Bergeerleben 5/2022)
Winterstall
Dieser Namentyp bezieht sich auf lawinensichere Orte und bezeichnet – wie der verwandte Name Burgstall – eine Stelle (und sekundär einen Stall), die sich zur Überwinterung von Vieh und Heu eignet. Oberhalb der Lyfialm in Martell befindet sich orografisch rechts vom Lyfibach der Weideboden Winterstall. Im Mühlbacher Talele (Gemeinde Gais) gibt es das abgeschiedene Almtal Winterstall mit einem schönen Schalenstein. Auch im benachbarten Oberwielenbacher Talele (Gemeinde Percha) liegt am orografisch rechten Hang oberhalb der Fohrer Alm eine Bergweide namens Winterstall. In Pflersch ragen oberhalb des Pflerer Höhenweges die felsigen Winterstallköpfe auf und in der Sarner Nachbarschaft Windlahn heißt der letzte Hof Winterstall, bereits 1377 als „curia in Winterstall“ belegt. Am bekanntesten ist freilich der aus mehreren Häusern bestehende Weiler Winterstall zwischen Vent und Zwieselstein im Ötztal.
Blick zum verschneiten Eisjöchl © Stephan Illmer
Wintertal, Winterlöcher und Wintereggen
Über die Winterris – die italienischen Buchholzer verballhornen sie zur l’Avénteris – in den Salurner Teilwäldern wurde einst Holz zu Tale befördert. Eis und Schnee bildeten dabei die ideale Gleitfläche.
Der in einem schattigen Tälchen verlaufende Straßenabschnitt unterhalb von Gfrill/Salurn heißt Wintertal, wohl weil die Schneelage das Befahren nicht gerade einfach macht.
Im nordexponierten Wintertal in Aldein (liegt übrigens gleich neben dem „Schneetalel“) halten sich Schnee und Eis besonders hartnäckig, gleich wie in den Winterlöchern am nordseitigen Wald in Rabenstein/Hinterpasseier und in den Schneelöchern auf Hochkuhrast in St. Felix am Deutschnonsberg.
Die Winterklamme und die Wintereggen befinden sich dagegen in Antholz/Obertal und zwar im Bereich des Fußweges hinauf zur Rieserfernerhütte.
Im hinteren Ridnaun liegt die Winterstube (2.300 m). In diesem schattigen Gebirgskar am Fuße des Übeltalferners halten sich die Schneereste gewöhnlich bis in den Hochsommer.
Oberhalb von Hinterafing befindet sich der Waldboden der Wintereben am oberen Ende des Wintertales, während für das Gamswild das Aufsuchen der sogenannten Winterstände im Fischleintal in Sexten für sein Überleben ausschlaggebend ist.
Winterwege, Winterlucken und Winterbrücken
Sichere Wege und Durchgänge im Winter schlagen sich auch in der Flurnamengebung nieder: am Penser Joch weist das Winterbild den lawinensicheren Weg über das Joch – dieser liegt etwas östlich der befahrbaren Passhöhe. Die Winterlucken in Tesselberg, beim Lanzberger in Gsies und beim Pippriger in St. Peter in Ahrn waren ebenfalls bei Schneelage passierbar. Winterweger ist Hofname am Getzenberg in Kiens, während die Winterbrücke in Naturns (am Bahnhof) heute an jener Stelle steht, wo man einst bei winterlichem Niedrigwasser auf wenigen Brettern über die Etsch setzen konnte. Kam der Sommer mit dem Schmelzwasser, musste das Provisorium rasch abgebaut werden.
Winter und Winterle
In Unterreinswald (1377 curia zuo dem Winter, Winterlehen) und in Auen (1431 Jacob Winter) im Sarntal gibt es jeweils Höfe namens Winter, während die Verkleinerung Winterle bei St. Georg in Versein (Mölten), Guntschna (Bozen), Tiers (1480 Winterl) und Villanders (1544 Cristan Winterle) anzutreffen ist. In Ratzes (Kastelruth) gibt es sogar einen Winterklaub-Hof (1406 Winterchloub). All diese Hofnamen sind aber nicht mit der Jahreszeit in Verbindung zu bringen, sondern gehen auf den altdeutsche Personennamen Winthar (mit der entsprechenden Verkleinerung Wintharlin) zurück.
Eiskar und Gelltal
In Südtirol gibt es auch einige Berggipfel mit dem Wortbestandteil „Eis“. In erster Linie ist der Eisseespitz (3.230 m, mundartlich „Aiseschpitz“, um 1900 Eissee Spitze) in Martell zu nennen, südlich davon befindet sich der Eisseepass (3.139 m). Die Schreibung „Eissee“ legt eine Ableitung von einem Eis- bzw. Gletschersee nahe, doch die Mundart verdeutlicht, dass wir es mit dem Marteller Adjektiv „aise“ (= eisig) zu tun haben. Der „eise Spitz“ ist nichts anderes als der „eisige Spitz“. Die Topografen der Ortlergruppe gingen bei ihrer Nomenklatur-Vergabe offenbar von der Hochsprache aus.
Hoch über Trafoi fallen die beiden Eiskögelen (mundartlich „Aiskëigelen“; 3.530 bzw. 3.509 m, um 1900 Grosser Eiskögel) auf – noch lugt kaum ein Fels aus dem makellos weißen Kegelmantel hervor.
Der Hintere Hintereisspitz (3.486 m) bildet den östlichsten Punkt von Langtaufers. Die beiden Nachbargipfel, der Mittlere und Vordere Hintereisspitz befinden sich weiter östlich zwischen Gepatsch- und Hintereisferner und ragten einst als Felsinseln aus dem Ötztaler Gletschermeer heraus.
Hintereis bzw. Im hinteren Eis (3.269 m) heißt auch der Hausberg der Schutzhütte Schöne Aussicht am Schnalser Hochjoch, dem Übergang vom Oberen Kurzenberg in den weitläufigen Rofenberg. Unterhalb des Gipfels befinden sich die beiden Hintereislacken. Vom Gipfel öffnet sich ein beeindruckender Tiefblick auf den immer noch beträchtlichen Hintereisferner.
Oberhalb der Lazinser Alm befindet sich die Anhöhe der Eiskarwand (2.670 m). Der Name leitet sich von einem Eiskar (= mit Schnee gefüllter Bergkessel) ab. Früher durchquerte der Alpinisteig auf das Eisjoch das sogenannte Eiskar, heute ist dieser Wegabschnitt aufgrund des schwindenden Permafrostes steinschlaggefährdet und darf nicht mehr begangen werden.
Der Eishof im Pfossental, bis Ende des 19. Jh. der höchste ganzjährig besiedelte Grashof Südtirols, wird von den Einheimischen einfach Eiser genannt. Davon leiten sich der Eiser Berg, das Eiser Alblatsch, das Eisjoch und die Eiser Gruben ab. Der Name hat trotz der Nähe zu den Fernern der Texelgruppe wohl nichts mit Eis zu tun, sondern geht auf den altdeutschen Personennamen Iso zurück.
Das Gelltal (1619 Gelltalalbe, um 1770 Gel Thal) ist das größte Seitental von Rein in Taufers und führt(e) mitten hinein in die Eiswelt der Rieserferner-Gruppe (Gelltalkees). Der Name könnte sich von der indogermanischen Wurzel *gel- „Zusammengeballtes“ oder *gelu- „Eis“ ableiten und somit mit „Eistal“ übersetzt werden.
Vom Gelltal ist es gedanklich und geografisch nicht weit zum Hochgall (vgl. dazu BergeErleben 02/2016). Dieser Bergname ist mit unserem Mundartwort Eisgåll „Eisblase“ erklärbar.
Kålthërbige und Kålter Wirt
In der landesweiten Flurnamendatenbank kann man Namen entdecken, die das Adjektiv „kalt“ beinhalten. In Aldein befindet sich z. B. eine waldige Anhöhe namens „Kålthërber“ (1.790 m). Zugrunde liegt dem Namen wahrscheinlich eine nicht beheizbare Unterkunft, eine „kalte Herberge“. Die Örtlichkeit „’s Kålthërbi“ (2.150 m) befindet sich bei den Gurschler Mahdern in Schnals, während das „Schnålser Hëlbling“ (2.280 m) einen einstigen primitiven Unterstand der Schnalser Hirten am Langtauferer Ferner bezeichnet. In der Gemeinde Sexten gibt es gleich drei „Hërbige“ bzw. „Ålthërbige“ („alte Herbergen“).
„Kalter Wirt“ schließlich ist der Name für ergiebige kalte Quellen, z. B. im Langtauferer Kühtal und unterhalb vom Endkopf, wo sich im Winter ein schöner Eisfall bildet. Weitere „Kalte Wirte“ gibt es in Ulten (zwischen dem Skigebiet Schwemmalm und der Kuppelwieser Alm) und am Stilfer Berg in der Gemeinde Freienfeld.