„Schach matt (M10+/WI5)“, Königspitze Nordwand
Erstbegehung der "Schachmatt" © Florian und Martin Riegler

Florian und Martin Riegler berichten über ihre Neue Route in der König Nordwand und die Wintererstbegehung am 7. Jänner 2010 ...

7. Januar 2010 / Königspitze Nordwand (Ortlergruppe/Südtirol)

„Schach matt“!

5.00 Uhr
Der Wecker wirft uns aus dem gemütlichen Matratzenlager der Schaubachhütte auf 2.573m. Wir schauen aus dem Fenster. Es schneit leicht. Verdammt! Eigentlich war schönes Wetter gemeldet. Wir sind unschlüssig ob wir es dennoch wagen sollten in unsere neue König Nordwand-Tour inzusteigen. Nach einem kurzen Frühstück gehen wir im Dunkeln und bei regem Schneefall per Ski zum Einstieg. Wir stehen nun im Schneesturm unter der steilen Einstiegswand. Die ersten überhängenden 85 Meter schützen uns gut vor Lawinen und wir sortieren unser Material. Wir haben uns entschieden aufgrund der schlechten Wetterbedingungen nur im unteren, technisch sehr schwierigen Wandteil zu klettern und die Fels Seillängen zu probieren. Kurz bevor wir einsteigen reißen die Wolken plötzlich auf und wir erleben einen wunderbaren Sonnenaufgang. Wolkenloser Horizont. Ich schaue meinen Bruder an und weiß dass er genau dasselbe denkt wie ich: Rock&Roll Baby – heute fällt der König! Wir sind guter Dinge und überzeugt es zu schaffen. 1.200 Meter Fels, Eis, Schnee und wohl einer der schwierigsten Anstiege der Ostalpen liegen vor uns.
Wir klettern die ersten Meter in technischer Kletterei an unseren fixierten Seilen hoch. Wir sind schnell und Seillänge für Seillänge eilen wir nach oben.

11.00Uhr
Nach der fünften Seillänge stehen wir auf einer Art Balkon und beraten ob wir weiter klettern sollen, oder doch besser umdrehen? Hier könnte man noch abseilen, doch wenn wir uns entschließen weiterzugehen, ist ein Rückzug nur mehr sehr schlecht möglich und wir haben keine Biwak Ausrüstung dabei. Martin meint, dass sich ziemlich viel Neuschnee in der Wand befindet und die Spurarbeit hart werden würde. Besonders weil wir uns in unbekanntem Gelände bewegen, nicht wissend was uns erwartet und das bei minus 20° und mitten im Winter.
Wir gehen weiter. Ich steige die nächste Eisseillänge vor. Das Gelände wir flacher und ich finde einen geeigneten Platz für einen Stand, schlage 2 Haken und sichere Martin nach. Auch in der nächsten Seillänge läuft es gut. Danach folgt ein steiles Schneefeld, das wir seilfrei gehen. Es liegt wirklich viel Schnee und das Weiterkommen ist extremst mühsam. Nach ca. 100 Metern klettern wir in einer steilen Rinne weiter. Am Ende der Rinne versperrt uns eine 10 Meter hohe senkrechte Wand den Weg. Wir hatten sie von unten zwar gesehen aber nicht erwartet dass sie so schwer kletterbar ist. Ich lasse meinen Rucksack bei Martin, binde mich ins Seil ein, nehme ein paar Haken mit und klettere los. Ich suche den Weg des geringsten Wiederstandes und quere die Wand leicht nach rechts. Ich schlage einen Haken. Dann klettere ich weiter und schlage einen Zweiten. Ich habe Angst zu stürzen und hoffe und bete, dass ich heil über die Kante komme. Der Fels ist hier immer noch glatt, aber es wird flacher. Ich steige noch 40 Meter hinauf und versuche einen einigermaßen sicheren Standplatz einzurichten. Martin muss es jetzt irgendwie schaffen mit zwei Rucksäcken nachzukommen. Es kommt mir wie eine halbe Ewigkeit vor und wegen des aufkommenden Windes kann ich seine Stimme nicht hören. Ich hatte nicht mitbekommen dass er den unteren Teil 3 mal geklettert ist. Die ersten zwei male um die Rucksäcke herauf zu transportieren und das dritte mal, weil ihm sein Eisgerät abhanden gekommen war. Total außer Atem und verärgert über die blöde Felsstufe die uns wertvolle Zeit gekostet hat, erreicht er den Standplatz.

13.00Uhr

Wir sind jetzt mitten in der Wand. In einem Stück Erde das eigentlich nicht für den Menschen gemacht ist. Abweisend, steil, kalt, gefährlich, grausig! Wir fühlen uns ausgesetzt und alleine – weit weg – irgendwo im nirgends. Die anhaltende Kälte macht mich fertig. Martin will etwas trinken, schlüpft aus seinen Fäustlingen und legt sie vor sich in den Schnee. Genau in diesem Moment kommt ein Windstoß und der rechte Handschuh verschwindet in der Tiefe. Gut, dass wir ein Reservepaar dabei haben.
Die obere Hälfte der Wand dürfte nicht mehr so steil sein und wir klettern wieder seilfrei weiter, um schneller zu sein. Der Neuschnee macht uns zu schaffen und bremst uns enorm. Ich wühle mich nach oben. Alle 10 Schritte muss ich stehenbleiben und nach Atem ringen. Das Wetter wird schlechter und der Ortler ist bereits in Wolken gehüllt. Gas! Ich versuche Martin anzutreiben und blicke immer wieder auf meine Uhr: 13.45 Uhr 3.150 Höhenmeter. Es weht nun starker Wind und
es beginnt erneut zu schneien. Wir sehen keine 100 Meter mehr und ich hoffe, dass oben keine schweren Felspassagen auf uns warten und wir in keine Sackgasse klettern. Immer wieder schweift mein Blick zu meinem Bruder hinunter. Hoffentlich macht er keinen Fehler. Eine kurze Unaufmerksamkeit würde genügen um in den Abgrund zu stürzen. Ich weiß, dass er fit ist, sicher klettert und Verlass auf ihn ist. Trotzdem hat er weniger Erfahrung in solchem gemischten, felsdurchsetzten Gelände als ich. Wird schon gut gehen!

15.00Uhr
Wir erreichen den Gipfelgrat auf ca. 3.650 Meter. Es fällt Eisregen vom Himmel und der Wind wirft mich beinahe um. Wir wollen irgendwie nach links queren um dort einen sicheren Abstieg zu suchen. Der Gipfel steht nicht zur Diskussion. Schnee und Eis klebt in unseren Gesichtern und das Seil ist steif wie ein Stahldraht. Wir haben die ganze Zeit nichts gegessen und die Anspannung macht sich zunehmend bemerkbar. Wegen des Sturmes müssen wir uns anschreien um zu kommunizieren. Die Zeit drängt wenn wir vor Einbruch der Dunkelheit aus der Wand verschwinden möchten! Ein Notbiwak bei diesen Bedingungen, ohne nötigen Schutz wäre eine lebensgefährliche Falle. Meine Hände sind beinahe taub vor Kälte. Ich versuche immer wieder die Arme zu kreisen und die Fingen zu bewegen. Die Handschuhe sind hartgefroren und an einigen Stellen aufgerieben vom Klettern. Ich spüre wie die Kälte über meine Stirn in meinen Kopf eindringt und ihn versucht lahmzulegen. Jetzt nicht aufgeben! Wir schaffen das! Wir binden uns in Seil und ich stapfe vorsichtig Richtung Osten – Richtung Hoffnung. Eine präzise Orientierung ist unmöglich. Ich navigiere mittels siebtem Sinn. Fünf mal gehe ich soweit bis das Seil zu Ende ist. Dann gehen mein Bruder und ich synchron. Es wird immer finsterer und aussichtsloser und die Kälte ist fast nicht mehr auszuhalten. Wir zittern am ganzen Leibe. Die Füße fühlen sich an wie zwei Fremdkörper und jegliches Gefühl in den Zehenspitzen ist schon längst Vergangenheit. Das reinste Inferno. Wir müssen hier weg!
Allmählich glauben wir den Schatten eine Scharte zu erkennen. Das muss die Ostrinne sein. Diese Rinne sind wir beide ein Jahr vorher mit den Skiern abgefahren nachdem wir durch die klassische Nordwand gestiegen sind. Es sind zwar nur Umrisse von Felsen und Schneeflanken zu sehen, aber trotzdem sollte das der Ausweg aus unserer Misere sein. Instinktiv setzen wir einen Fuß vor den anderen. Boden und Himmel verschwimmen und dass es lawinengefährlich sein könnte in den Kanal abzusteigen blenden wir in diesem Moment aus.

16.30Uhr
Wir beginnen jetzt mit dem Abstieg. Es ist schon fast dunkel und der Sturm peitscht unbarmherzig in unser Gesicht. Wir bleiben mit dem Seil verbunden damit wir uns nicht verlieren. Im Schein unserer Stirnlampen stolpern wir durch Rinnen, Schneehänge und kurze Felspassagen. Immer wieder stellen wir uns die Frage ob das wohl der richtige Weg ist? Je weiter wir absteigen, desto weniger bläst der Wind und auch das Gelände wird ein wenig flacher. Als wir den Ferner erreichen bleiben wir kurz stehen. Wir fühlen uns in Sicherheit obwohl wir wissen, dass hier irgendwo der Gletscherabbruch und einige Spalten sein müssen. Der letzte Gegenanstieg um zu unseren Skiern am Einstieg der Route zu kommen beginnt. Wir sind beide am Ende unserer Kräfte. Jeder spurt 20 Schritte – dann macht der andere weiter.

19.00Uhr
Wir erreichen unsere Skier. Wir können aufatmen und brauchen sofort etwas zum Essen. Leider sind die Brote zu Eisbrocken geworden und somit ungenießbar. Es schneit noch immer sehr stark und man kann jetzt gar nichts mehr sehen, doch irgendwie müssen wir heil die fast tausend Höhenmeter zurück nach Sulden zum Auto. Wir fahren den steilen Hang hinunter – ins Nichts. Die Steigfelle lassen wir aufgeschnallt da noch einige Gegenanstiege folgen. Mit Mühe schaffen wir es
die Orientierung nicht total zu verlieren. Immer wieder bleiben wir stehen, um mit unseren Stirnlampen die Gegend abzuleuchten und den richtigen Hang abzufahren. Zum Glück kennen wir die Gegend zwischen Ortler und König inzwischen sehr gut.

20.00Uhr
Wir erreichen das Auto. Ich ziehe meine Handschuhen aus und erschrecke. Meine Finger sind hartgefroren, schneeweiß und brennen furchtbar. Martin fährt nun mit meinem Auto und ich sitze daneben. Die Schmerzen werden immer stärker. Ich stöhne laut vor mich hin und muss mich auf die Rückbank legen. Ich wälze mich hin und her und jeder weiterer Autokilometer ist eine Qual. Ich kann es kaum ertragen und stecke beide Hände in meine Unterhose um mich an meiner eigenen
Körperwärme zu wärmen. Nachdem auch zwei Aspirin Tabletten nichts nützen beschließen wir sofort ins nächste Krankenhaus zu fahren. In der Ersten Hilfe in Schlanders werde ich erstversorgt.
Die Diagnose der Ärzte lautet Erfrierungen am linken großen Zeh, an beiden kleinen Fingern und am rechten Mittelfinger, 2.-3. Grades! Die folgende Woche verbringe ich im Krankenhaus. Unserer Wintererstbegehung an der Nordwand der Königspitze geben wir den Namen „Schach matt“. Gewonnen haben wir das Spiel nicht. Aber überlebt!
Zwei Monate später kehren die Brüder in ihre Route zurück und klettern alle ausstehenden Seillängen Rotpunkt. Martin springt aus der 85m hohen Einstiegswand und realisiert somit den ersten Basejump an der Königspitze.

Erstbegehung der "Schachmatt" © Florian und Martin Riegler

Routeninformationen

„Schachmatt“ Königspitze (3.859m) Nordwand
Erstbegehung im Winter 2010 durch Florian und Martin Riegler
1000m M10+ WI5 55°