„Cascata Estiva ( VII+)“ Plattkofel, Langkofelgruppe
Erstbegehung der Route "Cascata Estiva" © Franziska Rizzi und Aaron Moroder

Im Sommer 2022 eröffnteten Franziska Rizzi und Aaron Moroder eine neue Tour auf der Nordwestwand des Plattkofel.
Bei der Tour handelt es sich um eine traditionell abgesicherte Tour, die über steile Risse und schöne Platten empor führt.

„Cascata Estiva“

Ein romantisches Abenteuer

Wieder stelle ich das Fernglas scharf und lasse meinen Blick über die Almwiesen und Berge der Seiser Alm gleiten. Wir haben Juni und der reichliche Schnee vom Winter muss in der warmen Nachmittagssonne endgültig den Rückzug antreten. Durch das Fernglas entdecke ich an der Westseite des Plattkofels einen riesigen Wasserfall: gespeist, vom Schmelzwasser eines Schneefelds, fällt das Wasser hunderte Meter die Wand runter. Ich weise meine Freundin Fanziska auf das Naturschauspiel hin und sie meint sogleich: „Könnte man da nicht eine Erstbegehung machen?“. Ich musste schmunzeln und verkneife mir ein: „Wie? mit einem Schnorchel?“. Meine Augen hängen nämlich bereits an den schwarzen kompakten Platten fest und in Gedanken versuchte ich eine Linie durch die Wand zu ziehen welche mich bereits in ihren Bann gezogen hat.

Einige Wochen vergehen, die Wand bleibt lange nass, immer wieder kreisen die Gedanken um diese Linie. Die Wand ist steil und anspruchsvoll, nur wenn einige, aus der Ferne nicht sichtbare Strukturen auftauchen, wäre eine Durchsteigung für uns möglich. Um dies herauszufinden, müssen wir einen Versuch wagen. Der Reiz einer Erstbegehung hat uns erfasst.

Mit der notwendigen Ausrüstung stehen wir unter der Wand, der Blick nach oben scheint noch unsicherer als der Wetterbericht. Doch siehe da, direkt am Einstieg eine prächtige Sanduhr, die als erster Standplatz dient. Über eine einfache Rampe steige ich in die Wand ein. Dank zweier Sanduhren wage ich mich in die darübergelegene Platte. Die Kletterei ist elegant und der Fels ausgezeichnet. Franziska steigt nach, doch dann schieben sich Wolken über uns und mit den ersten Regentropfen treten wir den Rückzug an. 

Eine Woche später sind wir wieder da und ich will das große Fragenzeichen lüften. Ober uns wartet ein steiler und nasser Kamin, der kaum kletterbar aussieht. Ich quere also über eine Platte nach rechts und entlang einer steilen Verschneidung gelange ich unter zwei markante Wasserstreifen. Entlang des rechten verläuft ein Riss. Er sieht anziehen schwer aus, könnte aber die ideale Umgehung des Kamins sein. Dazu müssten wir uns aber eine bessere Taktik ausdenken. Mit viel Motivation weiterzumachen, treten wir erneut den Rückzug an. 

Ein milder Winter zieht ins Land, den wir weit weg in Dresden verbringen. Wir gehen unserem Training in der Kletterhalle nach und steigern im Elbsandsteingebirge unsere Moral, denn die Route am Plattkofel haben wir immer im Hinterkopf. 

Im August sind wir wieder in den Dolomiten und kehren sogleich zu unserem Projekt zurück. Durch den heißen Sommer ist selbst der Kamin trocken und wirkt plötzlich weniger abweisend: ich muss einen Versuch wagen. Die ersten Meter lassen sich noch problemlos bewältigen, doch dann wird der Fels steiler und macht einen teilweise modrigen Eindruck. Ich lege zwei Friends und wagen mich höher, dabei trete ich einen Stein los, der genau auf Franziska fällt. Zum Glück kommt sie mit dem Schrecken davon, doch dieser sitzt tief und ein weiterer Versuch weiter rechts scheint heute undenkbar. Wir essen unsere mitgebrachten Brote genüsslich auf und seilen ab. 

Ich hatte mir von diesem Versuch viel erwartet und war enttäuscht, doch die Motivation brannte uns noch unter den Fingern und nach nur einer Woche stehen wir erneut am Wandfuß. 

Wir wählen eine neue Taktik. Über die Route Tanz über der Tiefe bewältigen wir den unteren Wandteil und gelangen zügig bis unter den steilen Riss, der Schlüssel zum oberen Wandteil. Es ist ein kalter und windiger Tag, mit klammen Fingern lege ich mir Friends, Express, einige Haken und Felshammer am Klettergurt zurecht. Die ersten Meter sind noch etwas unsicher, der Riss erlaubt es mir aber einige gute Friends zu legen und ich steige höher. Die Kletterei ist steil und anstrengend, die viele Ausrüstung an meinem Gurt wiegt schwer. Der Riss zieht gnadenlos nach oben, doch Stück für Stück wage ich mich höher. Ein letzter steiler Abschnitt liegt vor mir, ich lege noch einen guten Friend und studiere die nächsten Meter vor mir. Ich fühle die physische und mentale Anstrengung, weiß aber, dass ich es schaffen kann, diesen einmaligen Riss ohne Haken gleich bei der Erstbegehung zu durchsteigen. Von diesen Momenten träumt man schon, bevor man in die Wand einsteigt. Ich überklettere den letzten Überhang und über eine Platte gelange ich in leichteres Gelände und mache Stand. Ich fixiere ein Seil und seile wieder zum Stand ab. Ich bin voll Euphorie, doch Franziska ist richtig durchgefröstelt und will sich den Riss nicht zumuten. Zusammen klettern wir zwei Seillängen der Route Tanz über der Tiefe höher und queren über ein Band zurück zu unserer Erstbegehung. 

Nach einer kurzen Rast gehen wir den letzten Abschnitt an. Die schwarzen Platten sind anspruchsvoller als erwartet, aber zahlreiche Sanduhren weisen uns den Weg. Langsam werden unsere Arme müde und die Konzentration stumpft ab. Die Handgriffe werden automatisiert durchgeführt und die Bewegungsabläufe zunehmend mechanisch. Ich kenne das, man sehnt sich nach dem Ende der Anstrengung, doch rückblickend sind es genau diese Momente, welche einem am stärksten in Erinnerung bleiben. Irgendwann entfliehen wir auch dem eisigen Schatten und eine angenehme Nachmittagssonne scheint in die Wand. Sie gibt uns neuen Energie zum Weiterklettern und obwohl das letzte Stück länger ist als von unten vermutet steigen wir gegen Nachmittag auf dem Plateau des Plattkofels aus. 

Die Sonne scheint über die grünen Weiden der Seiser Alm und wir blicken hinunter zu unserer geliebten Almhütte, von wo aus dieses Abenteuer begonnen hat. Nun stehen wir oben, glücklich und voller Stolz diese Herausforderung gemeistert zu haben. Der Kreis schließt sich, höher können wir nicht mehr klettert. In der Wand haben wir nur wenige Haken und einige Schlingen hinterlassen und nichts mitgenommen und doch gehen wir erfüllt ins Tal. Der Alpinismus ist ein faszinierendes Spiel, besonders wenn die richtige Person dabei ist. 

Erstbegehung der Route "Cascata Estiva" © Franziska Rizzi und Aaron Moroder

Routeninformationen

„Cascata Estiva“

Erstbegehung: Franziska Rizzi und Aaron Moroder am 20.08.2022, nach drei Versuchen

Schwierigkeit: VII+

Länge: 350 m

Seillängen9

Felsart: Dolomit

Ausrüstung: NAA

Beschreibung: Die Route verläuft rechts der klassischen „Tanz über der Tiefe” über schöne Platten und steile Risse auf ausgezeichnetem Felsen. Die Stände sind Großteils eingerichtet. Für eine Wiederholung ist eine großzügige Auswahl Friends notwendig, sowie Kevlar für die zahlreichen Sanduhren.

Zustieg: Von Monte Pana oberhalb von St. Christina über die Forststraße Nr. 30 in Richtung Saltria. Nach ca. 2km nimmt man die Abzweigung richtung Langkofelhütte (Weg Nr. 52) bis zu den Cunfinwiesen und über den Weg 527A durch den Wald hinauf auf den Weg 527, welcher bis unter die Wand führt. Über die Schutthalden bis zum Einstieg. (ca 2h)

Mit dem ebike kann der Zustieg wesentlich verkürzt werden. Dazu fährt man weiter Richtung Saltria bis zur Kreuzung mit dem Weg Nr. 531 und über diesen bis oberhalb des Gasthof Zallinger. Hier kann man die ebikes stehen lassen und den Weg Nr. 531° zum Piz Uridl und weiter zum Einstieg (ca. 1h)

Abstieg:  Vom Ausstieg über das Plateau Richtung süd-ost an einer Rinne vorbei und dann rechts runter auf eine flache Wiese. Von dort über Bänder Richtung Osten auf einen kleinen Sattel und weiter über den Weg zur Plattkofelhütte und zurück nach Monte Pana.