„Zwergenkönig“, Rotwand, Rosengarten
Erstbegehung der "Zwergenkönig" © Florian und Martin Riegler

Neutour "Zwergenkönig" an der Rotwand von den Rieglerbrothers

Unsere Familie hatte eine kleine Almhütte auf den Wiesen unter der Rotwand und so verbrachten mein Bruder und ich mehrere Sommer am Karerpass. Mit unseren Eltern unternahmen wir viele Wanderungen und unsere ersten Klettersteige. Schon damals lauschten wir mit leuchtenden Augen den faszinierenden Geschichten der wilden Erstbesteiger, welche Tage und Nächte in der Wand verbrachten. Sie alle suchten das Abenteuer …

 

2004 Die Traumfrau
10 Jahre später, nach viel Training, Kletterwettkämpfen und Reisen in die verschiedensten Länder der Welt kletterten wir immer schwierigere Routen und wollten endlich selbst einen Weg durch eine alpine Wand eröffnen. Ich hatte bereits 3 Erstbegehungen gemacht und somit schon etwas Erfahrung gesammelt. Martin verbuchte sehr viele alpine Felstouren auf seinem Konto und brachte außerdem handwerkliches Geschick mit.
Als ich an der Rotwand mit einem Freund kletterte, fiel mir eine fantastische Linie auf: Im linken Wandteil, zwischen Eisenstecken und Schrott befindet sich ein 45 Meter überhängendes Dach, 120 Meter über dem Boden. Der steilste Teil der Wand. Die Linie war wie Liebe auf den ersten Blick und sie sollte für 3 Jahre unsere Lebenslinie werden.
So kam es, dass wir im Sommer 2004 genau an jener Stelle einstiegen und die ersten Haken schlugen. Die Wand war bereits beim Einstieg, im flachsten Teil steil, brüchig und furchterregend. Nach 5 Stunden hatten wir erst 20 Meter unserer „neuen Liebe“ überwunden. Es war sehr hart: Wir wollten von unten kletternd, ohne Bohrmaschine und mit so wenig Haken wie möglich auskommen. Wenn nicht in diesem Stil, dann überhaupt nicht!
Schon nach wenigen Metern lagen unsere Nerven blank und der Puls konstant auf 180. Es ging langsam – aber es ging und wir vertrauten unseren Friends und dem Cliffhanger mehr und mehr. Für uns drehte sich die Erde nicht mehr um die Sonne; für uns drehte sich alles um ihn, den unentbehrlichen Cliffhanger.
Wir waren eigentlich sehr zufrieden, nach 5 Tagen bereits 100 Meter der Wand überwunden zu haben. Trotzdem wurde es immer steiler und ausgesetzter und außerdem baumelte nicht nur unsere Seele frei in der Luft. Wir mussten die Technik mit Hammer und Nagel umzugehen, und vor allem unsere Moral verbessern. Es kostete immer mehr Zeit, dort hinzukommen wo wir am Tag zuvor aufgehört hatten. Abgesehen von den blutigen Fingern und den schmerzenden Füssen vom stundenlangen Hängen in der Wand war es immer wieder eine Überwindung den Zustieg und die unteren Seillängen zu bewältigen, um dann auf 120 Metern Wandhöhe weiterzumachen.
Es wurde Herbst und es kam bereits der erste Schnee über die Dolomitengipfel. Aus diesem Grund richteten wir ein Materialdepot ein und fixierten die ersten Längen mit Seilen, um das nächste Jahr wiederzukommen.

2005 Der Tiefpunkt

Es war Ende August. Wir hatten dieses Jahr bereits viele alpine Routen wiederholt und waren daher gut vorbereitet. Dachten wir, denn nach einigen Stunden im Neuland kamen wir nicht mehr weiter. Das Gelände war steil und brüchig und es kamen die ersten Zweifel auf. Auch die Standplätze konnten wir mehr schlecht als recht einrichten. Am Stand angekommen befahl mir Martin wieder abzuklettern, um den Stand nicht unnötig zu belasten. Ich war entsetzt. Vor uns baute sich das riesige Dach auf, das unüberwindbar schien.
Beim sichern dachte ich oft an Kathi, eine Freundin von uns, die einige Wochen zuvor beim Klettern an der Cirspitze tödlich verunglückte. Sie war gleich alt wie Martin, ihre Schwester, die sie sicherte als es geschah, ist gleich alt wie ich. Es kostete uns sehr viel Kraft nicht aufzugeben und trotzdem weiterzumachen. Wir suchten immer wieder nach Schwachstellen im Fels und zogen unsere Route in diese Richtung. Nach weiteren 3 Tagen in der Wand kamen wir endlich bis zum Dach. Wir sahen einen Lichtblick. Ein großer Riss öffnete sich von recht nach links. Wir waren jedoch 150 Meter über dem Boden und unsere Kletterbewegungen waren alles andere als fließend. All zu oft fielen Steine auf uns herab und einmal musste ich sogar ins Krankenhaus um mir eine Wunde am Kopf nähen zu lassen.
Im oberen Wandteil wurde Martin zur treibenden Kraft. Ich muss gestehen, dass mir bereits beim Sichern der Magen krampfte als er immer wieder samt Schlosserei durch die Luft sauste. Anscheinend kann Glaube Berge versetzen. Normalerweise bin ich moralisch stark, doch schlechte Standplätze und brüchiger und steiler Fels auf dieser Höhe wurde mir zuviel. Ich war am Nullpunkt angelangt.
Es war bereits Herbst und ich war wirklich nicht traurig, dass wir es für dieses Jahr sein lassen mussten. Ich würde nun wieder mehr zum Gardasee fahren, um dort an abgeschmierten Routen sorglos zu klettern.

2006 Die Entscheidung
Die Hoffnung stirbt zuletzt und wir waren fest entschlossen die Route dieses Jahr zu beenden. Oder zumindest die Erstbegehung zu schaffen; ob man das Ding dann auch frei klettern kann, stand in den Sternen. Wir wurden immer schneller beim Hochgehen, beim Jümaren und auch beim Klettern. Wir waren ein perfektes Team, jeder Handgriff passte und nach 3 Tagen war das große Dach überwunden.
Eine Woche später stiegen wir wieder ein, kletterten an unseren alten Seilen hoch bis zur letzten Seillänge und machten weiter. Die Tour hatte angefangen unser Leben zu diktieren. Zuhause gab es bald kein anderes Thema mehr. Es dürfte nun nicht mehr weit sein. Nach einigen Stunden verschwand Martin hinter einem Bauch: „Stand“! Er zog den Houlbag nach und ich folgte. Es war wie ein Wunder – ein Standplatz an dem man stehen konnte! Nach insgesamt 10 Tagen an Standplätzen an denen man nur frei hing, ein toller Moment. Doch wir mussten weiter. Es gab kein zurück. Vielleicht eine Seillänge noch, danach würde es leichter werden. Nach weiteren 30 Metern wurde es tatsächlich flacher. Die nächsten 2 Seillängen schafften wir ohne Probleme und gelangten schnell zum Ausstiegsgrad.
Euphorisch kletterten wir bis zum Gipfel. Wir hatten es geschafft. Mehr als helle Freude, kam tiefe Befriedigung in uns auf. Es war eine geile Zeit und viele Abenteuer und eine Menge Erfahrung die Belohnung dafür. Im Abendrot schlugen wir uns in die Hände und der Schein unserer Stirnlampen begleitete uns zum Einstieg hinab. Dort erwarteten uns bereits unsere Eltern und meine Freundin und gratulierten uns. Wir gönnten uns noch einen Festschmaus, bevor wir müde und zufrieden nach Hause fuhren und der „Zwergenkönig“ seinen Schatten über den Rosengarten legte.

Florian Riegler

Nähere Informationen zur Tour und die detaillierte Routenskizze findet ihr unter: www.florianriegler.com

Erstbegehung der "Zwergenkönig" © Florian und Martin Riegler