„Via l cajin (VII / WI6)“, Pordoi Westwand
Erstbegehung der Route "Via l cajin" von Manuel und Martin Baumgartner

Manuel Baumgartner berichtet über seine Erfahrungen bei der Erstbegehung der beeindruckenden Tour "Via l cajin" an der Westwand des Pordoi, zusammen mit Martin Baumgartner. Von den ersten Versuchen 2016 bis zum erfolgreichen Abschluss im Dezember 2023 schafften sie nun die Vollendung einer eigenständigen Route. Er berichtet über die Herausforderungen, die sich durch wechselnde Bedingungen auf das Eisklettern ergeben. Diese Tour zeichnet sich durch Durchhaltevermögen aus und zeigt, wie die Kunst des Verzichts mit einer belohnenden Erfahrung einhergeht. Die Tour "Via l cajin" markiert das beeindruckende Finale eines siebenjährigen Abenteuers.

Unsere Geschichte am Pordoi beginnt bereits 2016. Es müsste doch möglich sein den Eisfall, der sich an der imposanten Westwand des Pordoi von Zeit zu Zeit bildet, von unten anzuklettern. Nach langem Recherchieren und Stöbern in den Kletterführern waren wir der Meinung, dass wir links von der Pisciadoiführe von Karl Unterkircher eventuell noch eine freie Linie finden könnten. Also starteten wir am 24.12.2016 das erste Mal in die Wand. Den unteren ca. 120m hohen Vorbau kletterten wir seilfrei, zudem schleppten wir unsere gesamte Eisausrüstung mit uns. Unsere Motivation an diesem Tag musste fast grenzenlos gewesen sein, denn wenn ich jetzt zurückdenke war es an diesem Tag nahezu unmöglich den weit oben in der Wand hängenden Eisfall zu erreichen. Im unteren Wandteil brauchten wir die Eisausrüstung sicherlich nicht, denn es war bis zu diesem Zeitpunkt ein sehr niederschlagsarmer Winter, daher war auch der Fels trocken. Wir kletterten den Vorbau nach links hoch bis zu einem Pfeilerkopf. Von dort stiegen wir zwischen der Adang – und Pisciadoiführe direkt in die Wandflucht ein. Es waren sehr schöne lange Seillängen, die uns unserem Ziel langsam näherbrachten, zudem konnte man sie relativ gut absichern und durch den strukturierten Fels ergaben sich einige gute Sicherungsmöglichkeiten an Sanduhren. Einzig bei den Ständen versenkten wir einen Haken. Die Stunden verstrichen und gegen 14.00 Uhr kletterte ich eine kleine Verschneidung mit einem anschließenden Rechtsquergang zu einem kleinen Absatz. Zu meiner Verwunderung war dort bereits ein alter verwetterter Stand. Nachdem Martin nachgekommen war entschieden wir abzuseilen, denn es war ja schließlich Weihnachten und wir mussten nach Hause. 

In den kommenden Jahren herrschten in der Wand keine guten Bedingungen um die Tour in diesem Stil zu vollenden, wie wir es geplant hatten. 

2019 bildete sich der Eisfall erneut, also nutzten die zwei Osttiroler Isidor Poppella und Michael Amraser am 04. Dezember die Chance und realisierten die Erstbegehung des Eisfalls. Um zum Einstieg zu gelangen seilten sie sich vom großen Band des Pordoi über den Eisfall ab und kletterten ihn anschließend im Vorstieg nach oben. Zudem erfuhr ich, dass zwei weitere getrennte Seilschaften denselben Plan hatten wie wir: den Eisfall über eine eigene Linie von unten anzuklettern. Nach einigen Telefonaten und hitzigen Diskussionen, wo sich unsere Linie befindet, gab eine Seilschaft ihren Plan auf, die andere kletterte am 16. und 17. Dezember über ihre vom ersten Versuch zurückgelassenen Fixseile und anschließend über eine Kombination der Routen Niagara, Fedele und Dornröschen zum Beginn des Eisfalls. Nach einem Biwak in der Wand kletterten sie den ca. 150m hohen Eisfall und seilten anschließend über die gesamte Wand ab. Die Verhältnisse an diesem Tag müssen sicherlich nicht einfach gewesen sein…

November 2023: Die Verhältnisse in der Wand waren nahezu perfekt, „fast“ kein Schnee und leichte Minustemperaturen. Am 23. November starteten wir mit dem ersten Tageslicht in die Wand und kletterten die bereits 2016 gemachten 5 langen Seillängen nach oben. Der teils vereiste Fels machte die Sache nicht leichter, denn wir verzichteten bewusst darauf in den Felsseillängen Steigeisen und Pickel zu verwenden. Am letzten Standplatz angekommen von dem wir mittlerweile wussten, dass er zur Pisciadoiführe gehörte, machten wir uns bereit unsere Linie weiter in Richtung Eisfall voranzutreiben. Wir kletterten nun rechts der Pisciadoiführe und links von der Niagaraführe in zwei weiteren Seillängen direkt zum Ende des Eisfalls. Wir waren erstaunt, wie weit er dieses Jahr über die Wand heruntergewachsen ist. Er war mindestens 70 Meter länger als 2019 und das freute uns umso mehr, dass sich das Warten gelohnt hatte. Ich tauschte die Kletterschuhe mit den Bergschuhen, zog die Steigeisen an und kletterte die ersten 15m im steilen Eis. Ich zögerte und blickte nach oben, sah aber kein Ende des Eisfalls, einzig eine steile röhrenförmige Säule nach der anderen. Von unten herauf hörte ich die vernünftige Stimme von Martin „das bringt heute nichts mehr oder?“, und er hatte recht. Zu biwakieren hatten wir nämlich keine Lust, denn schließlich mussten wir beide am nächsten Tag arbeiten. Während dem Abseilmanöver machte ich mir meine Gedanken und befürchtete, dass wir nicht mehr die Zeit finden würden die Tour abzuschließen. 

Jetzt oder nie: Nach einem Monat am 25. Dezember wagten wir noch einen Versuch. Wir stiegen um 07.00 Uhr in die Wand ein, kletterten in einem guten Tempo nach oben und erreichten den Eisfall um 12.00 Uhr. Der Eisfall hatte aufgrund des Föhns und der milden Temperaturen der vergangenen Tage stark abgenommen, daher war es alles andere als einfach die ersten zwei Seillängen zu klettern und vor allem vernünftig abzusichern. Allerdings ging es gut voran und nach oben hin nahmen die Säulen an Masse zu. Ich konnte noch nie so ein geniales Eisgebilde klettern wie an diesem Tag. Steiles teils röhriges Eis, überhängende Eisbalkone und die Ausgesetztheit suchten seinesgleichen. Effektiv konnten wir 220m Nervenkitzel durchleben und genießen. Mit den letzten Sonnenstrahlen erreichten wir gegen 16.00 Uhr das große Felsband des Pordoi. Ein kräftiger Händedruck und ein Lächeln später machten wir uns zu Fuß in Richtung Pordoipass an den Abstieg. Per Autostopp gelangten wir von dort aus zurück zu unserem Auto. Den Abend ließen wir zufrieden bei einer Flasche Wein ausklingen.

Ein fast auf den Tag genau vor 7 Jahren begonnenes Abenteuer fand so sein Ende.

Fazit: Das Interessante am Eisklettern ist die Vielfältigkeit einer einzigen Tour. Jedes Jahr wird das Eis neu gebildet und man wird nie dieselben Verhältnisse auffinden, oft wird die Kunst des Verzichts belohnt um etwas Faszinierendes zu erschaffen.

Ich denke die Geschichte des Eisfalls ist ein netter Kontrast zum schnelllebigem Wandel des Eiskletterns in Südtirol. Vor allem die schnelle Verwendung des Wortes "Erstbegehung" sollte man öfters hinterfragen.

Manuel Baumgartner
Erstbegehung der Route "Via l cajin" von Manuel und Martin Baumgartner

Routeninformationen

„Via l cajin“

Erstbegeher: Manuel & Martin Baumgartner 

Seillängen 1-5 am 24.12.2016 & 6-7 am 23.11.2023

Alles geklettert am 25.12.2023 in 8h

Schwierigkeit: VII  / WI6(220m)

Länge: 600m

Felsart: Dolomit

Ausrüstung: NAA, 1 Satz Friends bis Gr.3(BD), evt. Hammer und Haken, Eisausrüstung

Zustieg: Vom Sellajoch in Richtung Pordoijoch und vor dem Restaurant Pian Schiavaneis parken, nun über Steig 647 zur Wand zusteigen (ca.40min)

Abstieg: Über Band Richtung Pordoijoch absteigen