Die Berge um Lungiarü © Samuel Clara
Am Freitagnachmittag, 1. Oktober 2021, hat der Alpenverein Südtirol gemeinsam mit der Gemeinde Sankt Martin in Thurn und der Tourismusgenossenschaft San Vigilio - San Martin zur 13. Jahrestagung der Bergsteigerdörfer nach Lungiarü eingeladen. Erstmals fand die Veranstaltung in Südtirol statt. Mehr als 90 Vertreter der Initiative Bergsteigerdörfer aus Italien, Deutschland, Österreich, Slowenien und der Schweiz sind ins ladinische Bergsteigerdorf gereist, um über die Berglandwirtschaft in den 35 Bergsteigerdörfern zu reden.
Lungiarü/Campill, 2. Oktober 2021
Jahrestagung der Bergsteigerdörfer in Lungiarü
Am Wochenende trafen sich Bürgermeister, Alpenvereinsvertreter, Gastwirte, Bauern und Tourismusvertreter aus den 35 Bergsteigerdörfern im ladinischen Dorf Lungiarü zum alljährlichen Austausch. Die Initiative der Alpenvereine, die in Südtirol seit 2016 vom AVS umgesetzt wird, steht für Regionalentwicklung und einen nachhaltigen Bergtourismus.
Die Gastgeber Alpenverein Südtirol, Gemeinde St. Martin in Thurn, Tourismusgenossenschaft San Vigilio – San Martin und die ehrenamtliche Arbeitsgruppe Bergsteigerdorf Lungiarü stellten die Berglandwirtschaft in den Mittelpunkt der dreitägigen internationalen Tagung. Damit würdigten sie den Beitrag, den die Berglandwirtschaft zur Erhaltung und Pflege der Kulturlandschaft leistet. Zudem thematisierten sie die Herausforderungen, mit denen die Bauern konfrontiert sind, um eine standortgerechte, umweltverträgliche Berglandwirtschaft im Sinne der Alpenkonvention zu betreiben.
„Es ist die Aufgabe der Alpenvereine eine kräftige und mahnende Stimme zu erheben, damit der schier unstillbaren Landschaftsgier Einhalt geboten wird und die wenigen intakten Gebiete noch für unsere Nachkommen erhalten bleiben“, so AVS-Präsident Georg Simeoni. Er dankte in seiner Ansprache den Partnern vor Ort für die gute Zusammenarbeit bei der Umsetzung der Initiative, insbesondere den 24 Bergsteigerdorf-Partnerbetrieben als Multiplikatoren und Bindeglieder zu den Besuchern des Bergsteigerdorfes. Auch dankte er der Abteilung Natur, Landschaft und Raumentwicklung für die mehrjährige finanzielle Unterstützung der Initiative Bergsteigerdörfer in Südtirol.
„Bergsteigerdorf zu sein ist eine hohe Auszeichnung und gleichzeitig eine große Herausforderung“, stellte Landeshauptmann Arno Kompatscher in seinen Grußworten fest. Für die Bergsteigerdörfer bedeute dies, eine Form des Wirtschaftens zu finden, die nachhaltig und erfolgreich zugleich sein kann.
Laut Nicole Slupetzky, Vize-Präsidentin des Österreichischen Alpenvereins und Vertreterin der internationalen Steuerungsgruppe der Bergsteigerdörfer, zeige die Internationalisierung der Bergsteigerdörfer in fünf Alpenländern, dass die Idee des sanften Tourismus tatsächlich erfolgreich ist.
Die Generalsekretärin der Alpenkonvention Alenka Smerkolj wies in ihrer Überleitung auf das Tagungsthema darauf hin, dass die kleinstrukturierte, nachhaltige Berglandwirtschaft in den Bergsteigerdörfern wesentlich zum Klimaschutz beitrage.
Tagung Berglandwirtschaft ─ Traum und Wirklichkeit
Cassiano Luminati aus der Schweiz zeigte in seinem Impulsreferat am Beispiel Val Poschiavo in Graubünden auf, wie ein Tal mithilfe seiner Menschen zu einer Bio-Modellregion werden kann. Der Vorarlberger Bauer und Obmann des UNESCO-Biosphärenpark Großes Walsertal Josef Türtscher berichtete über Möglichkeiten und Grenzen des bäuerlichen Wirtschaftens im Schutzgebiet. Leo Hilpold, Direktor des Südtiroler Landesamts für Natur, sprach über die Schutzgebietsverwaltung in Südtirol. Joachim Reinhalter, Obmann von Bergmilch Südtirol und des Sennereiverbandes Südtirol zeigte Perspektiven der Milchwirtschaft in kleinen Bergdörfern auf.
Im Rahmen einer Podiumsdiskussion wurden die Ansprüche und Erwartungen der Gesellschaft an die Berglandwirtschaft thematisiert. Gleichzeitig wurde die Realität im stark bäuerlich geprägten Bergsteigerdorf Lungiarü aufgezeigt, wo die sehr klein strukturierte Landwirtschaft vorwiegend im Nebenerwerb betrieben wird. Am Podium diskutierten die Referenten der Tagung sowie AVS-Präsident Georg Simeoni und der Landtags- und Regionalratsabgeordnete Manfred Vallazza in Vertretung der Landwirte von Lungiarü.
Erfahrungsaustausch, gute Beispiele und weitere Programmpunkte
Von den Erfahrungen der anderen profitieren konnten die Teilnehmer beim Workshop am Samstagvormittag. Karin Heinisch, Hüttenwirtin der AVS-Oberetteshütte, und Ramona Telser-Wille, Bio-Bäuerin aus dem Bergsteigerdorf Matsch, stellten die Zusammenarbeit zwischen der Schutzhütte und der Matscher Landwirte vor. Im Villgratental wiederum wurde in Kooperation zwischen Landwirtschaft, Tourismus und Handwerk ein „Dorfladele“ mit Handwerkerrundweg realisiert.
Bei einer Dorfführung am Samstagnachmittag erlebten die Teilnehmern die charakteristischen Viles, und bei Wanderungen am Sonntag die Bergwelt um Lungiarü. Beim Festabend am Samstag stellte Autorin Giuliana Clara die „Alpingeschichte kurz und bündig – Lungiarü“ vor, welche von der AVS-Sektion Ladinia – finanziell unterstützt von der Autonomen Region Trentino-Südtirol und der Raiffeisenkasse Gadertal – verwirklicht wurde. Die Publikation widmet sich den Erstbesteigungen in der Bergwelt um Lungiarü, der Geschichte der Sektion Ladinia sowie der ladinischen Sprache und Kultur.
Wertschätzung fürs Authentische
Das Bergsteigerdorf Lungiarü liegt auf 1.398 Metern Meereshöhe, eingebettet in den Naturpark Puez-Geisler und in das Dolomiten UNESCO Welterbe. Mit der Unterstützung der Initiative Bergsteigerdörfer zeigt der AVS seine Wertschätzung für Ortschaften, die ursprünglich und authentisch geblieben sind und sich einem nachhaltigen, umwelt- und ressourcenschonenden Weg verpflichtet haben. In Südtirol gibt es bislang zwei Bergsteigerdörfer: Matsch im Vinschgau (seit 2017) und Lungiarü im Gadertal (seit 2018). Das Bergsteigerdorf Lungiarü wird von der Gemeinde St. Martin in Thurn und von der lokalen Tourismusgenossenschaft San Vigilio – San Martin unterstützt. Deren Destination „San Vigilio Dolomites“ ist die erste Südtiroler- und Dolomitendestination, die nach den Kriterien des internationalen Standards des Global Sustainable Tourism Council (GSTC) nachhaltig zertifiziert wurde.