Pressekonferenz Kaunertal © Harry Putz

Pläne zur Erweiterung des Kaunertaler Gletscherskigebiets und zum Ausbau des Kraftwerks Kaunertal zeigen es auf: Die Wertschätzung gegenüber alpinen Natur- und Kulturlandschaften wird immer geringer. Ein einzigartiger Schulterschluss der Alpenvereine aus Österreich, Deutschland und Südtirol gemeinsam mit zahlreichen weiteren Naturschutzorganisationen und Bürgerbewegungen fordert dringend mehr Respekt für den alpinen Raum. Im Rahmen einer Pressekonferenz inmitten der Kaunertaler Bergwelt appellieren die Organisationen, Ausnahmeregelungen, wie sie im Tiroler Seilbahn- und Skigebietsprogramm und Tiroler Gletscherschutzprogramm zu finden sind, aufzuheben.

Kaunertal, 13. Juni 2024

Pressemitteilung von ÖAV, DAV und AVS

Pressekonferenz zum Nachsehen 

„Selten zuvor standen die Alpen so stark unter Druck, wie es aktuell der Fall ist“, erklärt Wolfgang Schnabl, Präsident des Österreichischen Alpenvereins im Rahmen einer Pressekonferenz inmitten der Kaunertaler Bergwelt, einem „Hotspot“, wenn von naturzerstörerischen Ausbauplänen die Rede ist. „Erschließungen und Verbauungen gefährden die letzten unberührten Ökosysteme in unserer Bergwelt – politische Entscheidungsträger müssen hier dringend umdenken. Wir fordern mehr Respekt für die Alpen!“ Hinter dieser Forderung stehen die Alpenvereine aus Österreich, Deutschland und Südtirol und weitere Umweltorganisationen wie u.a. Global 2000, der WWF Österreich, der Umweltdachverband, die Naturfreunde Österreich sowie lokale Bürgerbewegungen.

„Klima- und Artenschutz müssen Hand in Hand gehen“

Unter dem Deckmantel der Energiewende will die TIWAG aktuell im Rahmen des Ausbaus des Kraftwerks Kaunertal das Platzertal fluten und somit zerstören. Dort befindet sich der größte unberührte Moor- und Feuchtgebietskomplex der österreichischen Alpen*. Moore speichern mehr Kohlendioxid als jedes andere Ökosystem der Welt und sind Lebensräume für spezialisierte Arten. „Klima- und Artenschutz müssen Hand in Hand gehen. Das Projekt aber ist auf dem einen Auge blind und muss deshalb unverzüglich gestoppt werden“, so Schnabl.

*Quelle: WWF Studie: Schwienbacher 2023 Hochalpine Moore (wwf.at)

Absurde Ausnahmeregelungen

Wenige Kilometer vom Platzertal entfernt soll der völlig naturbelassene Gepatschferner rund um die Weißseespitze erschlossen werden. Möglich machen solche Pläne absurde Ausnahmeregelungen im sogenannten Gletscherschutzprogramm, das verordnet wurde, um gewisse Bereiche von diesem Schutz auszunehmen. „Großflächige Skigebietserweiterungen, wie sie im Kaunertal aber auch im Pitztal geplant sind, sind für uns eine klare rote Linie. Wir setzen uns für die Aufhebung der Ausnahmeregelungen und die Wiederherstellung des absoluten Gletscherschutzes, wie er im Tiroler Naturschutzgesetz verankert ist, ein“, erklärt Schnabl.

Kaunertal Gepatschferner © DAV | Franz Güntner

„Niemand will durch Industrielandschaft laufen“

„Ein Gletscher ist nicht nur Eis und ein Gletschervorfeld ist nicht nur Schutt“, erklärt DAV-Vizepräsident Wolfgang Arnoldt und betont: „Das sind wertvolle Natur- und Lebensräume. Da können wir kein Auge zudrücken, die dürfen einfach nicht erschlossen werden.“ Mit den beiden  Gletschererschließungen der Pitztaler und Kaunertaler Skigebiete würden weitere alpine Naturräume zerstört und entseelt werden. Dabei sind beide Regionen von besonderer Bedeutung für den Bergsport: Der Gepatschferner gehört zur größten zusammenhängenden Gletscherfläche Österreichs und ist mit den Stützpunkten Brandenburger Haus und Rauhekopfhütte ein beliebtes (Ski-)Hochtourengebiet. Die Braunschweigerhütte im Pitztal liegt direkt am beliebten europäischen Fernwanderweg E5 und ist für den Alpenverein ein wichtiger Ausbildungsstützpunkt. „Das Bergsteigen in all seinen Facetten, die Hütten, unsere Ausbildungen, unser Einsatz für das alpine Wegenetz – all das bietet die besten Bedingungen für nachhaltigen und sanften Tourismus. Die Dauerbaustellen, die uns diese Erschließungen bringen würden, machen das zunichte. Niemand will durch eine Industrielandschaft laufen“, mahnt Arnoldt.

ÖAV-Präsident Wolfgang Schnabl © ÖAV | Freudenthaler
DAV-Vizepräsident Wolfgang Arnoldt © DAV
AVS-Präsident Georg Simeoni © AVS

Manifest für mehr Respekt für den alpinen Raum

Bereits 2022 haben die Alpenvereine aus Österreich, Deutschland und Südtirol sowie der Club Alpino Italiano gemeinsam mit dem Dachverband für Natur- und Umweltschutz in Südtirol und dem Heimatpflegeverband Südtirol das sogenannte „Manifest für mehr Respekt für den alpinen Raum“ unterzeichnet. Mit diesem Manifest wird die Notwendigkeit eines ernstgemeinten Schutzes des alpinen Raums bekräftigt. „Die Erschließung des alpinen Raumes ist abgeschlossen“, heißt es im Manifest. „Mit dem ‚Manifest für mehr Respekt für den alpinen Raum‘ sehen wir es als unsere Pflicht, gemeinsam mit den Alpenvereinen und unterschiedlichen Umweltorganisationen den immer wiederkehrenden Forderungen gewisser Wirtschaftskreise zur weiteren Erschließung unserer Alpen Einhalt zu gebieten. Es ist genug erschlossen, und unsere Kinder haben auch das Recht eine noch etwas intakte Natur vorzufinden“, betont Georg Simeoni, Präsident des Alpenvereins Südtirol.

Simeoni geht in diesem Zusammenhang auch auf den Zusammenschluss zwischen dem Kaunertal und dem Südtiroler Langtauferertal ein: Da es im Langtauferertal kein Skigebiet gibt, kommen die Pläne des Zusammenschlusses mit dem Kaunertal einer Neuerschließung gleich. Der Alpenverein Südtirol zählt darauf, dass die Südtiroler Landesregierung an ihrer ablehnenden Haltung festhält und dem Vorhaben endgültig einen Riegel vorschiebt. „Die Erschließung neuer Räume im Hochgebirge ist für uns ein Tabu. Zugleich sagen wir aber ja zu neuen umweltverträglichen Perspektiven für das Langtauferertal”, sagt Simeoni.

Zum Abschluss teilte Simeoni noch eine gute Nachricht aus Südtirol mit: kürzlich hat Landeshauptmann Kompatscher öffentlich erklärt, dass er für die Unterschutzstellung der Lang- und Plattkofelgruppe samt Confinböden ist und sich auch dafür einzusetzen werde. Laut Kompatscher werde es keinen Neubau mit Kapazitätserweiterung des Liftes vom Sellajoch zur Langkofelscharte geben und er bestätigte die ablehnende Haltung der Südtiroler Landesregierung zu den Plänen des Schigebietszusammenschlusses Kaunertal – Langtaufers. „Abschließend kann ich nur aufrufen, es zahlt sich aus, laut zu werden, manchmal werden wir auch gehört und es bewirkt auch was!“, so Simeoni.

Gepatschferner Kaunertal © DAV | Franz Güntner

Weitere Statements der Organisationen:

Heimatpflegeverband Südtirol
„Die Erschließung des alpinen Raumes ist abgeschlossen“, das ist der zentrale Satz im gemeinsamen Manifest der alpinen Vereine und Umweltverbände. Das heißt Neuerschließungen, wie bei der Erweiterung des Skigebiets „Kaunertaler Gletscher“ vorgesehen, müssen angesichts des Klimawandels, der Biodiversitätskrise und vor allem angesichts unseres Auftrages auch den kommenden Generationen wilde Berge und intakte Natur- und Kulturlandschaft zu garantieren, der Vergangenheit angehören. Aber auch für den Ausbau bestehender Infrastruktur muss immer an erster Stelle die Frage gestellt werden, ob die Maßnahmen wirklich notwendig sind, oder ob ressourcenschonender gehandelt oder vielleicht sogar ein Rückbau möglich ist. Das heißt für die Energiewende, dass wir nicht neue Megaprojekte wie den Ausbau des Kraftwerks Kaunertal brauchen, sondern Energieeffizienz, eine kluge Nutzung der bestehenden Ressourcen und einen maßvollen Ausbau der regenerierbaren Energiequellen, abseits der bereits ausgeschöpften Wasserkraft. Denn eines muss uns klar sein: Eine der wichtigsten Ressourcen, die wir im alpinen Raum noch haben, ist die intakte Natur- und Kulturlandschaft und die wächst, einmal versiegelt und verbaut, leider nicht nach. Wenn wir also wollen, dass auch die kommenden Generationen in den Alpen wilde Berge, kleinstrukturierte Natur- und Kulturlandschaft und intakte Ökosysteme erleben können, dann muss gelten „Die Erschließung des alpinen Raumes ist abgeschlossen.“

Dachverband für Natur- und Umweltschutz Südtirol
Der Ausbau erneuerbarer Energien ist wichtig, noch viel wichtiger sind gesamtheitliche Lösungen: Im 20. Jahrhundert wurden fürs industrielle Wachstum ganze Dörfer und Bergtäler unter Wasser gesetzt, soziale Gemeinschaften und Naturräume wurden zerstört. Um die Energiewende heutzutage zu schaffen, braucht es in erster Linie Einsparungen, dann Effizienzsteigerungen und zu guter Letzt auch erneuerbare Energien. Die Erneuerbaren dürfen aber nicht auf Kosten von Mensch und Natur gehen, sondern müssen soziale und ökologische Ansprüche ohne Wenn und Aber respektieren.

GLOBAL 2000
„Die Tirolerinnen und Tiroler brauchen dringend eine naturverträgliche Energiewende, die Tirol schnell auf den Pfad zur Klimaneutralität 2040 führt und dabei leistbare heimische Energie sicherstellt. Ein Uralt-Projekt wie der geplante Ausbau des Kraftwerks Kaunertal wäre eine teure und zu  langsame Ablenkung von dieser Richtung, denn hier soll nicht nur ein ökologisch wertvolles Moorgebiet zerstört, sondern auch Unmengen an Steuergeldern in ein unrentables Projekt investiert werden“, so Viktoria Auer, Klima- und Energiesprecherin bei GLOBAL 2000. „Die TIWAG und auch ihr Eigentümer, die Tiroler Landesregierung, müssen hier endlich eine zukunftsfähige Strategie für die Klimaneutralität bis 2040 vorlegen – und in bekannte Alternativen und den Ausbau moderner erneuerbarer Energien investieren, die nicht nur günstiger, sondern auch naturverträglicher sind.“

WWF Österreich
“Während in der gesamten EU über großflächige Renaturierung diskutiert wird, halten Tiwag und Tiroler Landesregierung am massiv naturschädlichen und völlig veralteten Ausbau des Kaunertal-Kraftwerks fest. Nach dem Aus für die Wasserableitungen aus dem Ötztal ergibt dieses Megaprojekt
endgültig keinen Sinn mehr für die Energiewende. Landeshauptmann Anton Mattle muss diese sinnlose Naturzerstörung schnellstens stoppen und zukunftsfähige Alternativen forcieren. Auch stellen wir uns klar gegen den Ausbau des Gletscherschigebietes im Kaunertal, denn in Zeiten der Klima- und Biodiversitätskrise brauchen wir die letzten alpinen Freiräume als Ausweichräume für Tier- und Pflanzenarten”, sagt WWF-Gewässerschutzexpertin Bettina Urbanek.

Umweltdachverband
„Die bodenfressenden Megaprojekte in Tirol stehen mit dramatischer Beispielhaftigkeit für die einseitige und überholte (Energie-)Politik des Landes – denn der Ausbau des Kraftwerks und die Erweiterung des Skigebiets im Kaunertal sind naturverträglich nicht realisierbar. Sie gefährden die letzten ökologisch intakten Flüsse und Bäche und hätten fatale Folgen für hochsensible Ökosysteme und unzählige dort vorkommende Tier- und Pflanzenarten. Was wir brauchen, ist kein neues Megaprojekt, sondern Energieeffizienz, die Modernisierung bestehender Anlagen, den Ausbau der Photovoltaik auf bereits verbauten Flächen und – punkto Tourismus – eine Umorientierung hin zu einem zukunftsfähigen Ganzjahrestourismus, der ohne neue  technische Erschließungen und Naturzerstörung auskommt“, sagt Franz Maier, Präsident des Umweltdachverbandes.

Naturfreunde Österreich
Dr. Birgit Sattler, Vorsitzende Stellvertreterin Naturfreunde Tirol: „Die Alpenkonvention besagt, dass es im Alpenraum Grenzen der  Anpassungsfähigkeit von Ökosystemen zu beachten gilt. Ein Teil dieser Ökosysteme hat die Grenzen bereits überschritten, daher wünschen wir uns die konsequente Anwendung dieser Alpenschutzkonvention.“

WET – Wildwasser erhalten Tirol
Marieke Vogt, WET – Wildwasser erhalten Tirol: „Wir sind zusätzlich zur Klimakrise mit einem enormen Artensterben konfrontiert, es geht beim Ausbau der Wasserkraft längst nicht mehr um „Opfer bringen für die Energiewende“, denn die Natur und auch die betroffenen Menschen sind am Anschlag. Anstatt wie mit dem Ausbau Kraftwerk Kaunertal im großen Stil weiter Flüsse und Täler zu zerstören, muss Tirol zunächst seinen steigenden Energieverbrauch in den Griff bekommen.“

Protect Alpine Nature – PAN
Philipp Tschaikner, Netzwerkkoordinator, Protect Alpine Nature – PAN: „Protect Alpine Nature ist ein Zusammenschluss von derzeit 15 NGOs, Bürgerinitiativen und Umweltorganisationen. Wir haben unser Netzwerk gegründet, weil wir alpenweit einen zunehmenden Druck auf die verbleibenden Naturlandschaften feststellen. Gemeinsam sind wir eine starke  Stimme gegen zerstörerische Projekte, wie sie hier im Kaunertal, aber leider auch in vielen anderen Regionen der Alpen geplant sind.”

Protect Our Winters Austria POW
Verena Stahl, Präsidentin, Protect Our Winters Austria POW: „Wir leben inmitten einer Klima- und Biodiversitätskrise. Umso wichtiger ist es, das Kaunertal als eine der letzten natürlichen Landschaften Österreichs zu erhalten. Damit solche Orte auch in Zukunft geschützt und wieder aufgebaut werden können, braucht es das Renaturierungsgesetz auf EU-Ebene. Die daraus resultierenden Förderungen ermöglichen den langfristigen Schutz und eine nachhaltige Bewirtschaftung der alpinen Flächen.”

Mountain Wilderness Deutschland
Michael Pröttel, Vorsitzender, Mountain Wilderness Deutschland: „Es ist unfassbar, dass diese unvergleichliche Gletscher Wildnis zerstört werden soll!”

Aktionsgemeinschaft Malfon
Silvia Mat, Aktionsgemeinschaft Malfon: „Wir geben unsere letzten naturbelassenen Täler und unser Wasser weder für die Gewinnphantasien der Seilbahnbranche noch für die Verscherbelung an der Strombörse her.”

Verein zum Schutz der Bergwelt e.V
Dr. Sabine Rösler, 1. Vorsitzende des Vereins zum Schutz der Bergwelt e.V., zu den Projekten „Skigebietserweiteterung zur Weißseespitze“ und „Ausbau  des Kraftwerks Kaunertal mit einem neuen Pumpspeicherwerk im Platzertal und den Ableitungen der Wildbäche Venter Ache, Gurgler Ache sowie  Ferwall- und Königsbach in den Gepatschspeicher“: „Die Transformation von den fossilen zu den Erneuerbaren Energien ist notwendig für den  Klimaschutz. Klimaschutz und Artenschutz sind jedoch untrennbar miteinander verbunden. Der Ausbau der Erneuerbaren Energien bedarf zugleich  einer besonderen Achtsamkeit gegenüber Natur und Landschaft, um sein Ziel der Nachhaltigkeit nicht zu verfehlen. Gerade die Ableitung der  Wildbäche Venter Ache, Gurgler Ache sowie Ferwall- und Königsbach und die Versenkung des einzigartigen Platzertals und seiner wertvollen Moore unter einem riesigen Speicherbecken spricht dieser Zielsetzung Hohn. Ebenso die Idee, den Gepatschferner, zusammen mit dem Kesselwandferner die größte Gletscherfläche Österreichs, auf über 3000 Meter für den Skibetrieb zu erschließen: Dies ist ein Schlag ins Gesicht der kommenden Generationen, denen ohnehin aufgrund des menschengemachten Klimawandels nur noch klägliche Gletscherreste übrig bleiben werden, wenn überhaupt. Dieses Projekt, sollte es realisiert werden, wäre das Symbol für eine ruchlose Gesellschaft, der der schnelle Profit wichtiger ist als eine gedeihliche Zukunft. Eine neue Auflage des TSSP (Tiroler Seilbahn- und Schigebietsprogramm) muss entsprechend insbesondere den absoluten  Gletscherschutz wieder in den Vordergrund stellen, um solch zynische Vorhaben unmöglich zu machen.“

Brunnenkogel © ÖAV| Benjamin Stern