Die Südseite der Wildspitze © B. Rischel
Das Alpenvereinsjahrbuch BERG 2023 entführt in atemberaubende Höhen, hinauf bis auf die Wildspitze. Im BergFokus spannt sich ein Bogen über die vergangenen vier Jahrzehnte, die den Siegeszug des Mountainbikes widerspiegeln.
Alpine Themen für Menschen, die die Berge lieben
„Eine größere Weltabgeschiedenheit lässt sich für wahr auf keinem anderen Berggipfel finden als auf der Wildspitze.“ Diese Worte notierte der Bergsteiger, Geograf und Schriftsteller Anton v. Ruthner nach seiner Besteigung des höchsten Gipfels der Ötztaler Alpen im Jahr 1861. Heute ist die Wildspitze, stolze 3768 Meter hoch, einer der populärsten Dreitausender des Landes. In den BergWelten, dem großen Gebietsthema des Alpenvereinsjahrbuchs BERG 2023, erzählt der Fotograf Bernd Ritschel von seiner ganz besonderen, 45-jährigen Lebens- und Arbeitsbeziehung mit dem zweithöchsten Berg Österreichs.
Dass dieser als Tourenziel so viele „Likes“, sprich Besteigungen, erhält, liegt unter anderem auch an den sozialen Medien, auf denen die Aktiven sich austauschen. Wie das funktioniert, beschreibt Georg Rothwangl anhand von alpenvereinaktiv.com, dem gemeinsamen Tourenportal der Alpenvereine. Zusammen mit vielen anderen trägt es dazu bei, dass die „Weltabgeschiedenheit“ Geschichte ist. Die Menschen am Fuß des Berges bedauern das sicher nicht. Im Bergsteigerdorf Vent und im hintersten Pitztal lebt es sich heute besser als zu Ruthners Zeiten.
BergFokus Mountainbike
Die Eröffnung der Pitztaler Gletscherbahn im Jahr 1983 machte die Wildspitze zur bequemen Tagestour. Zur gleichen Zeit begann in den Alpen der Siegeszug einer anderen Technologie: Das Mountainbike eroberte die Berge. Der BergFokus blickt zurück auf die ersten 40 Jahre dieser jungen Bergsportart, und er beleuchtet ihre Gegenwart. Vor allem in der zeitgenössischen, elektrisch motorisierten Form, ist Mountainbiken ein Millionengeschäft – und für den Alpenverein eine ganz besondere Herausforderung. Auf seinen Wegen und in seinen Hütten begegnen sich nun Fußgänger:innen und Radfahrer:innen. Deren Bergerlebnis ist unterschiedlich, doch es lässt sich auf einen gemeinsamen Nenner bringen: „Transalp“. Die Überquerung der Alpen mit dem Rad, wie Holger Schaarschmidt sie beschreibt, ist beinahe zu einem Synonym für Mountainbiken geworden
BergSteigen: nur ein Sport?
Ist nun das gute alte BergSteigen auch nur ein Sport, oder ist es mehr als das? Zu seinem Antritt als neuer Chronist des Alpenvereinsjahrbuchs stellt Andi Dick die Fragen: Welche Leistungen sind es eigentlich wert, festgehalten und herausgestellt zu werden – und warum? Nach welchem Maßstab trifft der Chronist als Gatekeeper der Alpingeschichte seine Auswahl? Zur „großen“ Alpingeschichte gibt es übrigens immer auch eine „kleine“: Jochen Hemmleb, der nie auf dem Mount Everest war, schildert seine persönliche Liaison mit dem höchsten Berg der Welt, der für ihn nicht das Objekt der eigenen alpinistischen Begierde war, sondern eher ein Partner, ein Lebensgefährte, dem er nie zu nah getreten ist.
Als einen Lebensgefährten empfinden viele Bergbegeisterte auch den Alpenverein, der 1923, vor 100 Jahren, die Tölzer Richtlinien verabschiedete. Der darin festgeschriebene Verzicht auf Komfort im Hochgebirge gilt, im Prinzip, heute noch. Auch wenn viele Mitglieder nicht mehr auf Duschen, Halbpension und Vorreservierung in den Hütten verzichten wollen.
BergMenschen Barbara Zangerl, Nirmal Purja, Henry David Thoreau
Raus aus der Komfortzone treibt es dagegen die Vorarlbergerin Barbara „Babsi“ Zangerl, die in traditionellem Stil die schwersten Routen klettert. Sie schreibt damit ihre ganz eigene Alpingeschichte – so wie andere prominente BergMenschen es getan haben und immer noch tun: der nepalesische 8000er-Rekordmann Nirmal Purja etwa oder Henry David Thoreau, der nicht nur ein berühmter Naturphilosoph war, sondern auch ein origineller Beobachter des beginnenden Bergtourismus in den Neuenglandstaaten der USA.
Für alle gut sichtbar, geht unterdessen eine andere Geschichte zu Ende. Im BergWissen erläutert die Glaziologin Andrea Fischer, wie Gletscher gerade im Prozess ihres Verschwindens der Wissenschaft Kopfzerbrechen bereiten. Auch die traditionelle Almwirtschaft droht gänzlich zu verschwinden: Sie ist schön anzusehen, aber kaum noch in der Lage, in Zeiten des Wohlstands ihre Betreiber zu ernähren. Der Geograf Werner Bätzing schreibt, wie es dazu kam.
BergKultur
Schreiben. Worte finden. Die Welt nicht nur in ökologischen und ökonomischen Zusammenhängen, sondern in Begriffen der Ästhetik verstehen. Darum geht es, unter anderem, in der Rubrik BergKultur. Schreiben über die Natur im Geist und in der Tradition Alexander von Humboldts erlebt als „Nature Writing“ eine Renaissance, wie der Literaturwissenschaftler Bernhard Malkmus am Beispiel des mythischen Schneeleoparden erklärt. Die Schriftstellerin Selma Mahlknecht betrachtet den Begriff Tourismus, und der Bergführer Christoph Höbenreich macht augenzwinkernd klar, dass nicht nur Wörter, sondern sogar schon Buchstaben tiefgreifende kulturelle Unterschiede offenbaren: Sollen wir Ski oder Schi schreiben? Wer sich darüber den Kopf zerbricht, hat tatsächlich ein Luxusproblem – und dieses Wort ist schließlich auch nur eine Umschreibung für: Bergsteigen.
Alpenvereinsjahrbuch BERG 2023
Herausgeber: Deutscher Alpenverein, Österreichischer Alpenverein und Alpenverein Südtirol
Redaktion: Axel Klemmer, Tyrolia Verlag
256 Seiten, 255 farb. und 40 sw Abb.
21 x 26 cm, gebunden
€ 21
ISBN 978-3-7022-4057-8
Erschienen im September 2022
Das Jahrbuch „BERG 2022“ ist in der Landesgeschäftsstelle und im Buchhandel erhältlich. Alpenvereinsmitglieder beziehen mit diesem Band die historische Karte Ötztaler Alpen/Wildspitze.