Baggerarbeiten an der Zufahrt zur Eisbruggalm 2010 © Klauspeter Dissinger
Nun hat in zweiter und definitiver Instanz der Staatsrat in Rom in einem bemerkenswerten Urteil entschieden, dass die Alm in Antersasc mittels Straße erschlossen werden darf. Bemerkenswert deshalb, da die richterliche Abwägung von Ur- und Kulturlandschaft über die Urteilsbegründungen der ersten Instanz eines negativen Natura2000-Verträglichkeitsgutachens sowie offensichtlichen Fehlern und Versäumnissen im ursprünglichen Genehmigungsverfahren gestellt wurde.
Bozen, 16. Juli 2021
Dammbruch für Straßenerschließung bis in den letzten Winkel
Dabei haben sich die Alpin- und Umweltverbände nie gegen eine Reaktivierung der Alm und der rein landwirtschaftlichen Nutzung des Gebietes gestellt. Für die Wiedererrichtung der Gebäude und Strukturen ist aber nicht zwingend der Bau einer Zufahrtsstraße notwendig, wie die Sanierungen und Neubauten von Schutzhütten mittels Hubschrauber oder provisorischer Materialseilbahn in schwierigstem hochalpinem Gelände auch in unserem Land zeigen. Für die landwirtschaftliche Nutzung der Alm kann und darf man in einem dreifach geschützten Gebiet jedem zumuten, die verbleibenden 850 Meter vom derzeitigen Ende des Forstweges an der Waldgrenze bis zur Alm auch zu Fuß zurückzulegen. Wie dem auch sei, Fakt ist und bleibt, dass die Strukturen der Alm nicht verfallen sind, weil 2014 die Zufahrtsstraße bis zur Alm nicht gebaut werden durfte, sondern weil die landwirtschaftliche Nutzung der Alm in den Jahrzehnten davor vernachlässigt wurde. Dies erscheint auch nicht weiter verwunderlich, fehlt – zumindest laut Gutachtern – auf der Alm ein ganz entscheidendes Element für eine sinnvolle almwirtschaftliche Tätigkeit: Wasser in ausreichender Menge. Und dieser Umstand ändert sich auch mit einer Zufahrtsstraße nicht.
Dreifacher Schutzstatus und Wert unerschlossener Landschaften
Antersasc ist als Teil des Naturparks Puez-Geisler, des Europäischen Schutzgebietsnetzes Natura 2000 und des UNESCO Weltnaturerbes Dolomiten ein dreifach geschütztes Gebiet. Man findet hier eine über Jahrhunderte extensiv bewirtschaftete Kulturlandschaft, verzahnt mit der schroffen Naturlandschaft der Dolomiten. Die landschaftliche Schönheit des Gebiets und die dort vorherrschende Ruhe machen Antersasc zu einem wahren Juwel – einem Ort, wie man ihn in Südtirol immer seltener findet. Mehrere Fachgutachten sprechen sich gegen eine Erschließung mittels Forststraße aus. Auch der vom Projektwerber beauftragte Gutachter kommt zum Schluss, dass aufgrund der besonderen landschaftlichen Situation das öffentliche Interesse am Erhalt des Gebietes in seiner Unberührtheit höher zu bewerten ist, als das Privatinteresse an einer kompletten Erschließung dieser Alm.
Almwirtschaft fördern, nicht Zufahrtsstraßen
Die Almwirtschaft ist ein integraler Bestandteil der Südtiroler Landwirtschaft. Die nachhaltige, traditionelle Bewirtschaftung der Almen prägt die Südtiroler Kulturlandschaft und sollte deshalb durch die öffentliche Hand gefördert werden.
Die Erschließung durch Fahrstraßen ist für die traditionelle Almwirtschaft allerdings nicht zwingend notwendig. Im Gegenteil, allzu oft steht die Erschließung in Zusammenhang mit einer Umnutzung der Almen: Die Bestoßung mit Vieh wird reduziert und alternative, auch touristische, Nutzungen rücken in den Vordergrund. Auch das Schreckgespenst der Verpachtung und Vermietung der Almhütten an Touristen und zahlungskräftige Kunden wird immer wieder aktiv gefordert. Ein Blick auf die einschlägigen Online-Buchungsportale reicht, um zu sehen, dass bereits jetzt viele Südtiroler Almhütten an Touristen vermietet werden. Zuletzt fiel wiederholt eine Zeitungsannonce in unseren Tageszeitungen auf, laut welcher eine Immobiliengesellschaft Almhütten zum Kauf bzw. zur Miete sucht. Wenn das nicht auch in der Politik die Alarmglocken läuten lässt, dann ist sowieso alles zu spät. Eine weitere Entwicklung in diese Richtung bedroht auf lange Sicht die traditionelle Almbewirtschaftung stark.
Das Urteil des Staatsrates in Rom ist ein Dammbruch für die Straßenerschließung bis in den letzten Winkel
Dieses Urteil ist zugleich ein Dammbruch für die Straßenerschließung bis in die letzten Winkel des Landes mit vorhersehbaren Folgen. Und das wird auch noch durch das Land und die EU finanziell gefördert bzw. gänzlich bezahlt. Wenn sogar in einem 3-fach geschützten Bereich und UNESCO-Welterbe-Gebiet trotz negativer Gutachten gebaut werden darf, dann gibt es künftig keine Schranken mehr.
Wir fordern nun die Landesregierung auf, ein Konzept und neue Richtlinien für Almerschließungen zu erstellen und zudem als Mindestforderung die Finanzierung für solche und ähnlich umstrittene oder landschaftszerstörerische Straßen zu streichen. Das würde manche Gelüste wenigstens etwas einbremsen. Dafür soll die politisch gewollte Gleichbehandlung von erschlossenen Almen und nicht erschlossenen endlich geändert werden, indem man letzteren für die Benachteiligung und Erschwernis wesentlich höhere Beiträge als Ausgleichzahlung gewährt.