„Weg der Hochtouristen – Die Vonmetz Route (VI)“, Burgstall, Schlern
„Strategie ist sich ständig eine Art Rückzug offen zu halten“ Helmut von Molte
In den Südtiroler Bergen haben sich viele namhaften Alpinisten ihrer Zeit mit einer Erstbegehung verewigt. So kennt jeder Kletterer die Eisenstecken auf die Rotwand-Westwand, die Vinatzer auf den Dritten Sellaturm oder die Hasse-Brandler auf die Große Zinne. Aber auf die Frage hin, ob es eine „Vonmetz-Route“ gibt, findet man in den Dolomite-Führern keine Antwort. Doch in der Kletterszene, denen der Name Luis Vonmetz bekannt ist, fällt die Antwort dazu klar und eindeutig aus. Der „Weg der Hochtouristen“ an der Burgstall-Wand am Schlern ist „seine“ Tour. Es ist die „Vonmetz-Route“ schlechthin, welche bei der Erstbegehung bis hin zum Charakter die Leidenschaft und das Leben von Luis widerspiegelt. Der folgende Bericht über diese Route stammt vom Grödner Kletterer, Bergführer und Autor zahlreicher Kletterführer Ivo Rabanser.
Erst versuchen wir es nach rechts, dann nach links. Die Routenbeschreibung ist ziemlich ungenau, doch ist eigentlich noch viel naheliegender, dass der Fehler in unseren verworrenen Vorstellungen zu suchen ist. „Ich kann eine schwarze Verschneidung über uns erkennen, glaubst du, wir müssen da vorbei?“ Patricks Antwort: laut Führer müssten wir dreißig Meter nach rechts queren. Oh Gott, äußerst unentschlossen klettere ich zum Stand zurück. Wie es aussieht, ist heute nicht gerade unser Tag. Übereinstimmend entschließen wir uns, einen Rückzieher zu machen. Noch blieb uns ja genügend Zeit dazu. Na ja, ist ja nicht so schlimm, das passiert in den besten Familien, jeder kann einmal vom Weg abkommen… Außerdem, wie heißt es so schön: der Weg ist das Ziel – in diesem Fall stellte eben der Rückweg das Ziel dar. Wir blicken zum Himmel – weit und breit kein Wölkchen, das unsere Schlappe rechtfertigen könnte. Eine andere Ausrede musste her.
Wie sollte es auch anders sein, vorhersehbarer Weise sind wir zurückgekehrt! Die Konstellation ist dieses Mal hingegen eine andere: Patrick überließ seinen Platz Stefan, da er es bevorzugte, die eh schon viel zu seltenen schönen Tage nicht noch weiter zu vergeuden. Heute werden wir mit einer neuen, offensiven Strategie an die Sache herangehen: gute logistische Organisation und vor allem höchste Entschlossenheit, lautet die Devise!
Ähnlich dem letzten Mal, klettern wir über den Sockel und bringen die ersten Längen hinter uns. Schon bald finden wir uns unter der schwarzen Verschneidung wieder. Ohne lange zu zögern steige ich sie empor, so, als ginge es darum, ein Hindernis zu bekämpfen. Und siehe da, man musste wirklich nach rechts queren, allerdings erst nach der Verschneidung. „Kann passieren“, sage ich etwas peinlich berührt zu Stefan, „man sieht, wie verworren wir an jenem Tag waren!“
Die Erstbegehung
Luis Vonmetz hatte mir enthusiastisch von dieser seiner Route am Burgstall erzählt. Bevor er sich gänzlich sozialen und promotiven Aktivitäten des Südtiroler Alpenvereins widmete, lag sein leidenschaftliches Interesse in der Kletterei. Mit diversen Kletterpartnern gelangen ihm Wiederholungen zahlreicher Dolomiten-Klassiker, ab und zu machte er auch mit Erstbegehungen auf sich aufmerksam. Zu den wohl bekanntesten Begehungen zählt der Marmolada Süd-Westpfeiler, den er zusammen mit Reinhold Messner, Jörgl Mayer und Jochen Gruber im Jahre 1973 eröffnen konnte.
Seines Zeichens aufmerksamer Beobachter, schrieb er einmal: „Ich habe stets versucht, eine Parallele zwischen dem Kletter- und dem Lebensstil eines Menschen auszumachen und habe sie auch gefunden. Alpinisten drücken in ihrem Kletterstil ihr Temperament sowie ihre Lebenseinstellung aus. Ich habe ängstliche Alpinisten kennengelernt, die in ihrem Beruf die gleiche Ängstlichkeit an den Tag legten. Ein ungestümer Alpinist, der im Gebirge alles riskiert, liebt auch im alltäglichen Leben das Risiko, oft zu seinem Nachteil. Dann gibt es noch die Weisen, die genau ihre Grenzen kennen. Sie sind zahlreich unter den älteren Personen vertreten, die schon ihre alpinistische Reife erreicht haben“.
Dieses Mal waren viele schon am Vorabend am Schlernbödele zusammen gekommen. Ein Großteil der Mitglieder der Hochtouristengruppe fand sich in der gemütlichen Hütte ein, um das Ende der Saison zu feiern. Bis in die frühen Morgenstunden feierten sie, plaudernd, singend, mit Speck und Wein. Mit sehr viel Wein!
Am darauffolgenden Morgen kann das Wetter eigentlich kaum schöner sein. Ein wenig lustlos machen sich die Burschen auf den Weg: die einen machen die Glanvell-Route auf der Santner Spitze, andere visieren die Burgstallkante an. Wiederholt macht Luis Vonmetz während des Zustiegs durch die Rinne Halt. Na ja, er hat sich ja nicht unbedingt geschont heute Nacht – denken die Freunde.
Währenddessen lag der Grund ganz woanders: angezogen von der senkrechten Burgstall Platte blieb er immer wieder stehen, um sie genauer betrachten zu können. Schon seit mehreren Jahren spielte er mit dem Gedanken, dort eine Route zu eröffnen: ein logischer Weg in der Nähe der auffälligen, schwarzen Wasserstreifen.
„Wer will mit mir mitkommen? Probieren wir eine neue Route in der Burgstallwand?“
Sepp Schrott schüttelt den Kopf. Mit Sicherheit war ihr heutiger physischer Zustand alles andere als optimal für ein derartiges Wagnis. Martl Koch hingegen zeigt sich kämpferisch: „Ich bin dabei! Wie viele Haken haben wir insgesamt?“
Schrott stellt ihnen sein Hakensortiment zur Verfügung, wünscht den Freunden alles Gute und macht sich mit den anderen auf den Weg Richtung Santner Spitze.
Ohne weitere Zeit zu verlieren, steigen Vonmetz und Koch der Rinne entlang zu dem enormen, eingeklemmten Felsblock. Ganze fünfhundert Meter Wand zogen über ihren Köpfen in die Höhe, lediglich wenige Haken und wenige Stunden Licht standen ihnen zur Verfügung.
Über die ersten Vorsprünge kletterten sie noch seilfrei, dann übernahm Vonmetz die Führung bis unter den Ausstiegskamin. Im Mittelteil hatte eine senkrechte Platte den unerschrockenen Bozner zum Stillstand gebracht. Es wollte ihm nicht gelingen, einen Haken zu schlagen, dabei machte das bevorstehende Hindernis einen widerspenstigen Eindruck. Schließlich entdeckte er eine winzige Sanduhr – allerdings war das Loch viel zu klein für die damaligen Reepschnüre. Erfinderisch wusste er sich mit der feinen Schnur, an der der Hammer befestigt war zu behelfen: um die Steigbügel daran festzumachen würde er allemal reichen.
Martl Koch galt als energisch und tatkräftig. In den Sechziger Jahren existierten in Südtirol noch diverse, das faschistische Regime lobpreisende Manufakte, und das obwohl die Diktatur schon 1943 gefallen war. So posierte zum Beispiel der auf einem Pferd thronende Duce mächtig am Eingang des Grödner Tales, erst im Jahre 1961 wurde er „abmontiert“. In diesen Fällen war Martl zur Stelle und allzeit bereit mitzuhelfen.
Nach siebeneinhalb Stunden ununterbrochenen Kletterns kamen sie am Gipfel an! Gerade noch rechtzeitig, fielen die Oktobertage doch schon recht kurz aus. Noch am selben Abend gab es am Schlernbödele erneuten Grund zum Anstoßen – außerdem handelte es sich doch um eine praktische Gelegenheit zum Weiterzufeiern.
Wir sind begeistert von der Route! Steile Platten in bestem Fels, geschickt sucht sich die Tour den leichtesten Weg. Das Ambiente, mit jenen Wäldern zu unseren Füssen, die gewissermaßen als Unterbau für dieses erstaunliche Felsenschloss fungieren, erscheint zugleich ernst und entspannt.
Herrlich: nach dem Ausstieg aus der schattigen Wand, legen Stefan und ich uns in das Gras der Gipfelwiese, träumen schon wieder von den nächsten Zielen. Gott sei Dank war ich noch einmal hierher zurückgekommen!
War es nicht ein General von Napoleon, der einmal treffend zu formulieren vermochte: „Wichtig ist es, den Krieg zu gewinnen, nicht nur eine Schlacht“?
Ivo Rabanser
Routeninformationen
Erste Begehung
Luis Vonmetz und Martl Koch, 13. Oktober 1968.
Zweite Begehung
Robert Egger und Wolfi Thomaseth, Juli 1970.
Erste Winterbegehung
Helmut Kritzinger und Dietmar Fulterer, 28. Dezember 1988.
Schwierigkeiten
V, V+ sowie eine Passage VI.
Wandhöhe
500 m; 12 Seillängen.
Kletterzeit
4-6 Stunden.
Charakter
Der Schlern gilt als eines der Markenzeichen Südtirols: inmitten einer unglaublich idyllischen, bukolischen Landschaft erhebt er sich, mit seinem unvergleichlichen, von der Santner und der Euriger Spitze sowie vom Burgstall geformten Profil über den dunklen Wäldern von Seis und an der Seite der Seiser Alm. Während das gesamte Gebiet als Teil des Naturschutzparks Schlern sehr gerne von Wanderern aufgesucht wird, finden die Kletterrouten, abgesehen von zwei bekannten Klassikern, nur beschränkt Anklang – lediglich sehr sporadisch werden hier Kletterer gesichtet und wenn, dann handelt es sich meistens um Einheimische.
Dabei ist eigentlich schon aus weiter Ferne zu erkennen, dass die Burgstall Nordwand mit relativ guter Felsqualität aufwarten kann. Der Haken liegt vielleicht im Zustieg zu der dunklen Plattenwand: sein Ausmaß mag wohl schon mehrere Anwärter entmutigt haben. Würde man den Zustiegsmarsch sowie den beeindruckenden Abstieg nicht nur als lästiges Muss, sondern viel mehr als Teil der Gesamtleistung betrachten, so würden sie dem ohnehin schon von größter Zufriedenheit charakterisierten Tag noch den letzten, perfekten Schliff verpassen.
Der Weg der Hochtouristen zieht seines Zeichens durch die Nordwand, nahe zweier auffallender schwarzer Wasserstreifen und wählt dabei einen logischen und dennoch nicht immer leicht auszumachenden Weg. Im Gesamten handelt es sich um eine sehr lohnende Kletterei, hauptsächlich über gut strukturierte, steile Platten, über Risse sowie vereinzelte Kamine. Sei es vom klettertechnischen wie vom die Gesteinsqualität betreffenden Standpunkt aus, so gelten die mittleren Seillängen als die schönsten, es folgen dann drei einfachere mit dennoch nicht zu unterschätzenden Stellen im letzten Kamin. Am Sockel erweist sich der Fels ein wenig schmutzig und mit Gras bewachsen, was aber letztendlich dem ungestörten Klettern keinen Abbruch tut.
Auch wenn die klettertechnische Schwierigkeit stets unter beziehungsweise im Rahmen des V Grades bleibt, ist die Gesamtschwierigkeit nicht zu unterbewerten, vor allem dann, wenn man die wenigen vorhandenen Absicherungen berücksichtigt.
Stützpunkt
Schlernboden Hütte 1726 m (Tel: (0039/0471-705345), die auf einer faszinierenden Lichtung unter den mächtigen Schlern Wänden erbaut wurde. Zu erreichen ist die Schutzhütte von Seis über ein bequemes, asphaltiertes Sträßchen (Ausschilderung zum Hotel Bad Ratzes) in die auf Ortschaft Bad Ratzes 1212 m führt; großer Parkplatz vorhanden. Hinter dem Hotel überquert man erst den Fluss über eine kleine Holzbrücke, danach folgt man dem markierten Touristensteig (Markierung 1), der über den mit zahlreichen Kehren durchsetzten, steilen Waldhang zur Hütte führt (1 ¼ Stunden).
Zustieg
Über der Schlernboden Hütte verläuft ein steiler, zu verfolgender Pfad nach rechts durch den Wald. Im Anschluss an diesen quert man eben zu einer stets entlang der Burgstall Nordwand abwärts verlaufenden großen Schuttrinne. Es gilt, der besagten Rinne mit vereinzelten kleinen Felsvorsprüngen bis kurz unterhalb eines riesigen, die Rinne versperrenden Felsblockes zu folgen. Dort befindet sich der Einstieg der Route, der außerdem gleichzeitig auch als Einstieg für die Nord-Ostkante dient (1 Stunde).
Material
Während der Erstbegehung wurden 6 Zwischenhaken verwendet, von denen 3 sowie vereinzelte Standhaken belassen wurden. Die Route ist folglich recht karg abgesichert; auch die Standplätze müssen zum größten Teil selbst eingerichtet beziehungsweise ergänzt werden. Sehr häufig kommen, teils mit Reepschnur markierte Sanduhren vor, weshalb sich die Mitnahme diverser Kevlar Reepschnüre als äußerst vorteilhaft erweist.
Abstieg
Von den Gipfelwiesen gilt es, die Hochebene in nördlicher Richtung auf den Wegspuren bis zum Schlernhaus 2457 m zu queren.
Danach geht es auf dem in nord-östlicher Richtung verlaufenden Touristensteig (Markierung 1) weiter. An der Weggabelung kann man:
- über den Gamssteig, einen beschwerlichen, steilen Weg auf der linken Seite direkt zum Schlernboden absteigen (1 ½ Stunden).
- oder weiterhin dem Touristensteig nach rechts folgen und auf diese Weise über einen längeren, doch sehr aussichtsreichen und schließlich noch durch den dichten Wald führenden Abstiegsweg zum Schlernboden gelangen (2 Stunden).
Auf dem ursprünglichen Zustiegsweg erreicht man letzten Endes wieder Bad Ratzes (1 Stunde).