„Olli’s Meisterwerk (7b)“, Gantkofel, Mendelkamm
Erstbegehung der "Olli's Meisterwerk" © Oliver Renzler und Roland Mittersteiner

Oliver Renzler hat mit Roland Mittersteiner eine neue Linie in der Gantkofel Nordwand erstbegangen. 13 Seillängen in solidem Fels, nie einfach und für alle, die den Schwierigkeitsgrad 7b beherrschen.

„Olli’s Meisterwerk“, 7b, 480m.
Es erzählt der Erschließer Oliver Renzler:

Die Wand gilt als brüchig und grasdurchsetzt. Aber ist sie das überall? Ich studierte sie von unten und oben, dann querte ich über ein Band Richtung Wandmitte. Wo Anfangs noch Gamsspuren entlangführten, musste ich gegen Ende hin kriechen. Es kostete mich Überwindung und Konzentration, weiter zu krabbeln bis zu den Schotterterrassen 130 m über dem Einstieg. Dabei war ich genau hier bereits vor 31 Jahren free solo von unten nach oben ins Neuland geklettert, und nicht von rechts nach links… Frustriert und erschreckt wollte ich mein Projekt verschütten. Nur die Bohrmaschine am Schulterriemen und eiserne Disziplin mit meinen Gefühlen verlängerten meine Suche nach einer festen und sicheren Möglichkeit. Auf einmal offenbarte sich die Lösung. Ja, das konnte die Linie sein: im unteren Drittel rechts wo der Fels durch teils massive Felsstürze nicht so zerschlagen ist, dann den wenigen durchgehend festen Abschnitten entlang links hoch und zum Band in Wandmitte. Steinschlag, Absätze, Gras, Latschen und extrem brüchige Passagen blieben damit links und rechts liegen. Im oberen Teil würde sich der Weg leichter finden lassen. Ich krabbelte das Band zurück zur imaginären Linie. Laut fraß sich der Bohrhammer in den festen Kalk. Erster Stand, juhe!

In zwei Tagen bohrte ich die ersten drei Seillängen ein. An das alpin-brüchige Ambiente der 480 Meter hohen Nordwand gewöhnte ich mich. Weitere drei Tage richtete ich die Route von oben ein, also vom zukünftigen Ausstieg nach unten. Meine Akkus reichten für 40 Stück 10mm Stifte. Das Setzen von 40 Stiften erforderte 8 Stunden Knochenarbeit. Die Schinderei begann mit dem Schleppen des bis zu 34 kg schweren Rucksackes voller Seile, Bohrdübel und –laschen, Hammer, Ausrüstung, Bohrmaschine und Akkus. Finger und Arme verkrampften nach Stunden durch das Einbohren, Einschlagen, Anziehen der Dübel und Muttern, durch das Entfernen von Grasbüscheln, Steinen und Felsbrocken bis zu zwei Meter Größe. Das Kreuz schmerzte vom stundenlangen Hängen im Gurt. Vor Einbrechen der Dunkelheit galt es dann noch 100 m am ersten, und 200 m am zweiten Einbohrtag an den Fixseilen zum Ausstieg hoch zu jümaren. Nach jedem Einsatz war ich zwei Tage lang ein halber Kerl.
Beim dritten Einsatz von oben waren Fehler nicht erlaubt. Ich hatte mir ausgerechnet, dass ich die Routen mit weiteren 30 Spits bis zum großen Band fertig einrichten konnte, und die akku-bedingten letzten 10 möglichen Bohrungen für das Abseilen bis zum bereits vorab eingerichteten Stand der 3ten Seillänge nutzen würde. Die vorhandenen Fixseile nutzte ich zum Abseilen und baute sie damit auch gleichzeitig ab. Damit war eine Rückkehr nach oben nicht mehr möglich. Im Laufe des Tages brach die Bohrspitze, aber eine Reserve brachte mich sicher zum Stand und aus der Wand. Noch einmal quälte ich mich Tage darauf über das Latschenband zu den beim Abseilen angebrachten Fixseilen. Nach dem Hochjümaren von 120 Höhenmetern mit vollem Rucksack war meine persönliche Batterie nur noch halb voll. Aber beim Abendglühen am Rosengarten war das Werk vollbracht. Mit der gesamten Ausrüstung seilte ich zum Einstieg ab. Von dort zur Forststrasse knickten meine Beine unter dem Riesengewicht bei Fehlbelastung ein wie Streichhölzer – aber zum Glück ohne zu brechen. Heil erreichte ich die Forststraße.
Sechs lange Tage war ich in der Wand, 200 Bohrhaken stecken nun in der Wand. Unterwegs war ich immer mit Turnpatschen, geklettert bin ich keinen Meter. So schätzte ich die Schwierigkeiten auf meist 6a-6c, Stellen 7a-7b. Ich wollte sie deshalb unbedingt noch heuer klettern. Drei Tage später hatte mein Freund Roland Mittersteiner Zeit. Mit ihm diese Tour erstmals zu klettern ist eine besondere Freude, weil Roland (und Toni Zuech) zu den ganz wenigen Menschen zählen, die auch schon in der Gantkofel Nordwand kletterten. Als Seilschaft wiederholten und begradigten sie 1989 die von mir 1984 dort eröffnete Route. Am Sonntag, den 20. September, standen wir nach 9.5 Stunden am Gipfelplateau. 13 abgesicherte Seillängen, fast durchwegs schöne und nie einfache Klettermeter über Platten, Kanten, Dächer, Risse und Verschneidungen lagen unter uns. Mit diesen Seillängen, der Super-Aussicht, dem leichten Zu- und Abstieg, dem herrlichen Wandausstieg auf die Gantkofel Wiesen, hat die Tour das Zeug zum Klassiker. Dennoch bleibt sie ein ernstes Unternehmen, das stets 8-12 Stunden in Anspruch nehmen wird.

Das sind Marmolada Südwand Zeiten. Und das nur 10 km von Bozen entfernt. Wiederholer dürfen sich freuen.

Informationen zum Abseilen:
Abseilen aus der Tour ist kein Problem. Auch oberhalb des Bandes ist Abseilen möglich. Es wird empfohlen, vor allem unterhalb des Bandes wegen der Querungen Zwischensicherungen beim Abseilen einzuhängen.
Die 6 teils langen Seillängen bis zum großen Band (45m zu Stand 1, 30m , 58m, 25m, 50m, 56m zu Stand 6 am Band) können in 4 mal schnell wie folgt abgeseilt werden: Von Stand 6 am Band zu Stand 5, von 5 zu 3, von 3 zu 2, von 2 zum Boden.

Nachtrag 14.12.2015:
Vor 10 Tagen ereignete sich ein enormer Wandausbruch im linken Teil der Gantkofel-Nordwand. Ungefähr ein Viertel der gesamten Wand ist betroffen.
Oliver Renzler hat seine neue Tour kontrolliert und uns mitgeteilt, dass diese nicht vom Wandausbruch getroffen wurde. Er konnte es aber nur von unten betrachten und wird im Frühjahr die Route inspizieren.

Nachtrag 05.09.2016:

Am 04. August 2016 hat der Erschließer die Tour bis eine Seillänge über dem Band geklettert und kontrolliert. Laut seinen Informationen ist alles in Ordnung. Nur in der ersten und dritten Seillänge wurde eine Lasche beim Felssturz vom Herbst flach gedrückt. Die erste kann man noch fädeln, die ober auslassen.

Nachtrag 24.09.2016:
Am 23.09.2016 kletterte eine Vinschger Seilschaft aus Prad/Schluderns (laut Wandbuch) die gesamt Tour.
Olli empfielt, die Tour nicht zu unterschätzen, denn zwei Seilschaften mussten bereits umkehren und auch die Vinschger stiegen erst bei Dunkelheit aus.

Die folgenden Fotos stammen vom 14.12.2015:

Erstbegehung der "Olli's Meisterwerk" © Oliver Renzler und Roland Mittersteiner