„Norbu Duk Lam (VIII A1 / X-?)“, Jamyang Ri, Rangtik Valley, Indien
Erstbegehung der "Norbu Duk Lam" © Elisabeth Lardschneider und Markus Ranalter

Die Geschichte einer wirklich wertvollen und besonderen Linie im abgelegenen „Rangtik Topko“ Tal in Indien.

Elisabeth Lardschneider (Lisi) und ich Markus Ranalter (Makke) sind zusammen mit einem Team (Patrick Tirler, Moritz Sigmund, Stefan Plank, Hannes Niederwolfsgruber, Hannes Sullman) aus 7 Südtiroler Kletterer und Abenteurer am 1. Juli 2023 nach Ladakh in den indischen Himalaya gefahren. Nach einigen Tagen der Anreise und des Kennenlernens der heimischen Kultur sind wir in unser Basecamp auf 4900m aufgestiegen. 3 Tage, 50cm Schnee, Nebel und viele Lawinen. Später bekommen wir den ersten guten Blick auf die mächtigen Granitwände, die zum Großteil noch unbestiegen sind. Gleich erkennen wir, welch unglaubliches Privileg wir haben, solche Wände als 1. Seilschaften probieren zu dürfen, denn es offenbart sich uns ein Blick, der jedes Kletterherz höherschlagen lässt. 

Die Auswahl der Wände ist groß doch die Erreichbarkeit schwierig, aufgrund des ergiebigen Schneefalles in den vorherigen Tagen. So ist die Entscheidung ziemlich einfach. Es kommt nur eine Wand in Frage, nämlich die Nordwand des kleinen Jamyang Ri. Sie ist vom Basecamp in 1 bis 1.5 Stunden erreichbar und das, ohne sich in Lawinen- oder Steinschlag- gefährliches Gelände begeben zu müssen. Zudem ist die Wand steil genug, sodass sie vom schmelzenden Schnee wenig bis gar nicht nass ist.

Es ist bereits der 10. Juli, als wir an unserem 3. Tag im Basecamp das 1. Mal unsere Zelte hinter uns lassen und uns zum Wandfuß eine Spur durch den Schnee treten. Als wir die volle Pracht der Wand vor uns hatten, wurden die Ferngläser gezückt und es wurde um die möglichen Linien fast schon gestritten. Schlussendlich finden Elisabeth und ich einen Querriss, der sich auf ca. 100m Wandhöhe bis zum Gipfel schlängelt. Um es etwas besser zu beschreiben, es war unsere erste Erfahrung mit einer Erstbegehung und sich dafür die steilste Wand in einem entlegenen Tal am anderen Ende der Welt auf über 5000m Höhe auszusuchen, klingt im 1. Moment etwas ambitioniert.

Wir stehen zum 1. Mal früh auf, aber das Frühstück ist schon vorbereitet. Unsere 3 Köche Lobzan Lobzan und Sonan erfüllen uns jeglichen Wunsch. Milk Tea und Chapati mit Nutella warten auf uns. Es scheint uns nun nichts mehr im Weg zu stehen. Das Wetter ist traumhaft, wir sind gestärkt, los gehts. Nicht weiter als 50 Meter voneinander entfernt, steigen alle 3 Seilschaften ein und kämpfen sich den Weg nach oben. Nach einigen Metern kommt die Ernüchterung. Der Fels ist brüchig und wo es einfach ausgesehen hat, liegt überall Schnee auf losen Blöcken. So dauert die 1. Seillänge gleich ein paar Stunden länger als gedacht. Bis zum Ende des Tages können wir nur wenige schöne Klettermeter sammeln und kommen auch nicht weit, denn wir seilen uns nur 40m ab. Das macht uns nachdenklich, sind wir doch zu unerfahren, um solch eine Wand als Erste zu besteigen, haben wir unsere Fähigkeiten einfach überschätzt oder war es einfach nur nicht unser Tag?

Lisi und ich packen als einzige unser gesamtes Klettermaterial wieder zusammen und tragen alles zurück ins Basecamp. Dort angekommen wird viel diskutiert. Plank und Hannes N. (Hons) die in der gleichen Linie kletterten meinen, es sei zu schwer gewesen, doch sie sind überzeugt, dass Lisi und ich weiterkommen werden. Da wir wieder klettern wollen, gibt es keine andere Option, als nochmal die Nordwand des kleinen Jamyang Ri aufzusuchen. Als ich zum 10. Mal die Wandfotos durchschaue, entdecke ich eine Verschneidung, die kompakt aussieht und uns den „größten Bruch unseres Lebens“ ersparen könnte. Zumindest mehr als die Hälfte davon. So steigt die Motivation wieder und gleichzeitig ärgern wir uns, dass wir viel zu blind in die Wand eingestiegen sind.

Der nächste Tag beginnt ziemlich identisch. Wir müssen wieder unser Kletterzeug bis an den Wandfuß, schleppen. Die 1. Länge klettern wir wieder gleich, doch ohne Schnee und etwas geputzt, so ist es nicht mehr so schlimm. Dann geht es hinters Eck in die inspizierte Verschneidung, die sich als wunderbare Länge erweist und schon erreichen wir unseren gestrigen Highpoint. Diesmal 5 Stunden früher…

Weiter geht es über die nächste Verschneidung und wir erreichen den Spit unserer Freunde, den sie am vorherigen Tag mühsam mit dem Handbohrer geschlagen haben, um abzuseilen. Ich bin an der Reihe und darf mich als Erster versuchen. Bis zum Spit klettert man eine echt coole Schuppe hoch, Ich passier den Spit und nach ein paar Zügen sehe sich ein wunderschönes Loch mit Kristallen vor mir. Dort vorbei war Endstation für mich. Nach einigen Versuchen ist meine Kraft aufgebraucht. und mir wird wieder bewusst, dass wir uns etwas höher befinden, als normal, nämlich auf über 5000mmh. Lisi ist an der Reihe und wie ich mir schon gedacht habe, ist ihr 1. Versuch gleich erfolgreich und sie erreicht eine kleine Stufe, wo sie Stand bauen kann.

Ich folge nach und gratuliere ihr. Unser Blick schweift nach oben und wir sehen, dass wir vom Querriss, den wir unbedingt erreichen wollen. nicht mehr weit entfernt sind. Es trennen uns nur noch ungefähr 30m davon, doch die sollten uns noch etwas abverlangen. Direkt vom Stand weg befindet sich eine Platte, die sich ohne Spit nicht absichern lässt. Ich versenke noch einen Spit, sodass das Weiterklettern möglich ist und uns viel Arbeit am Folgetag erspart wird und wir seilen ab. Zurück im Basecamp berichten wir von unserem Erfolg und Lisi und ich wissen, dass wir jetzt nicht mehr so schnell aufgeben werden.

Voller Motivation endlich den Querriss zu erreichen, der entscheiden wird ob die Linie machbar ist, steigen wir wieder in die Wand ein. Bis zum gestrigen Stand ziehen wir uns mühsam über Fixseile nach oben. Nach einer kurzen Pause und ein Snickers gehts los. Der Start erweist sich als ziemlich kniffelig und ich kann nur mit sehr viel Mühe vom Spit wegklettern, kann aber die nächste Stufe nicht erreichen. Meine Nerven sind erschöpft und so muss wieder Lisi, mein Joker, ran. Sie klettert weg und erreicht mit letzter Kraft die Stufe. Lisi kann kaum ihr Gleichgewicht halten doch sie muss es schaffen irgendwie einen Spit zu schlagen, wofür sie schlussendlich ca. 2 Stunden braucht. Beeindruckt von ihrer Leistung nehme ich wieder den Hammer in die Hand und arbeite uns noch etwas nach oben, bis der Tag sich wieder dem Ende zuneigt. Ausgelaugt erreichen wir das Basecamp wo unsere Freunde gespannt auf uns warten. Sofort kommt die Frage, ob wir den Querriss erreicht haben, doch wir müssen verneinen und lautes Lachen ertönt.

 

 Nach einem Tag Pause, den wir unbedingt nötig haben, ist es wieder an der Zeit weiter zu klettern. Da es nach unserem letzten Spit für mich kletterbar aussieht und Lisi normal nie die 1. Länge des Tages vorsteigen will, habe ich wieder die Ehre. Diesmal gelingt es mir, nach einem kleinen Runout den nächsten Standplatz zu erreichen. Wir freuen uns riesig und nur eine Länge später stehen wir vor unserem lang ersehnten Querriss. Gleich auf dem ersten Blick erkennen wir, dass der Riss sich absichern lässt und zumindest die nächsten Meter nicht mehr 3 Tage in Anspruch nehmen werden. So war es auch und wir finden uns nach Ende des Tages auf halber Wandhöhe wieder. An diesem Punkt erkennen wir, dass wir das Portaledge brauchen, um den Gipfel zu erreichen.

 Nach einem weiteren Pausetag kehren Lisi und ich zusammen mit Patrick zur Wand zurück. Patrick hilft uns unsere Jumartechnik zu verbessern und das Portaledge aufzubauen. Alles verläuft ziemlich reibungslos dank Patricks Hilfe doch eine „Schinderei“ bleibt es trotzdem. Nach dem Aufbau der Plattform gibt es Mittagessen und an so einem speziellen Platz eine heimisch importierte Kaminwurze zu essen, ist unbeschreiblich. Nachher klettert Lisi noch eine Länge, die uns für den nächsten Tag viel Zeit sparen wird und sie kommt erschöpft zum Zelt zurück. Patrick seilt sich noch am selben Tag ab und Lisi und ich genießen unsere 1. Nacht in einem Portaledge. 

Super geschlafen steht an diesem Tag der Gipfel an. Die folgenden Längen lassen sich gut absichern und wir kommen in den Genuss von wunderschönen Rissen und Verschneidungen. Wir kommen schnell voran, doch es reicht nicht ganz bis zum Gipfel. Kurz unterhalb des Grades drehen wir um und seilen uns zurück ins Portaledge ab. Da das Basecamp nicht weit entfernt ist, entschließen wir uns am nächsten Tag wieder eine Pause zu gönnen und seilen uns in der Früh ab.

Pläne werden geschmiedet und das nächste Schönwetterfenster lässt nicht lange auf sich warten. Wir wollen die ganze Route an einem Tag bis zum Gipfel klettern. So starten wir hoffentlich das letzte Mal in aller Früh zur Wand. Dort angekommen sehen wir, dass die schwierigen Längen am Start vom nächtlichen Regen etwas nass sind und entschließen uns deshalb uns bis zum Portaledge hoch zu ziehen. Von dort starten wir und probieren alle Längen frei zu klettern. Das gelingt uns auch bis auf ein paar kurze Passagen. Mental gepuscht klettern wir spielerisch noch die letzten 60 Meter auf den Grad und von dort zum Gipfel. Es ist der 21. Juli 2023 als Lisi und ich den Gipfel des kleinen Jamyang Ri erreichen. Wir jubeln und freuen uns wie noch nie zuvor. Nach vielen anstrengenden Tagen, zwischen Erfolg und Rückschlag, endlich am Gipfel zu stehen ist unbeschreiblich. Die ganze Arbeit zahlte sich endlich aus und Lisi und ich stehen am Gipfel unserer 1. Erstbegehung.

 Als wir uns wieder beruhigt haben fangen wir zum Abseilen an, das funktioniert gut und wir erreichen bald das Portaledge. Dort gibt es eine warme Suppe, die wir mit dem Felshaken essen, weil wir den Löffel im Basecamp vergessen haben.

Am nächsten Tag packen wir unsere sieben Sachen gemütlich zusammen, seilen ab und gehen überglücklich mit einem unbeschreiblichen Erfolgserlebnis zurück ins Basislager. Dort wurde uns gratuliert und wir feierten am Abend alle gemeinsam mit den besten Momos der Welt.

Da wir die Route mit vielen besonderen und wertvollen Erinnerungen verbinden, nennen wir sie „Nurbu Duk Lam“. Das bedeutet: Besondere wertvolle Linie. 

Erstbegehung der "Norbu Duk Lam" © Elisabeth Lardschneider und Markus Ranalter

Routeninformationen

„Norbu Duk Lam“

Gebirge: Rangtik Tokpo

Gipfel: Small Jamyang Ri

Erstbegeher: Elisabeth Lardschneider und Markus Ranalter an 7 Tagen zwischen 12.-21.07.23

Schwierigkeit: VIII obl. A1 (X-?)

Länge: 560m

Seillängen: 18

Felsart: Granit

Charakter: Abwechslungsreiche kletterei an Verschneidungen, Rissen, Platten und Schuppen auf meist wnderschönen Granit. Die kletterei ist meist Steil und exponiert. In der Route befinden sich einige Spit und Felshaken. Wo es möglich war wurden mobile Sicherungsmittel verwendet.

Ausrüstung: NAA, 60m Halbseile, 2x BD#0.1-4

Abstieg: Abseilen über die Route (60m!)

„Diese Route wurde mit Haken des AVS-Alpinfonds erstbegangen“