„Ak- Kalpak (8a+ / 7b obl.)“,Karavshin, Kirgistan
Erstbegehung der "Ak- Kalpak" © Patrik Tirler und Moritz Sigmund

Im Sommer 2022 reisen Moritz Sigmund und Patrick Tirler mit vier Freunden aus Südtirol nach Kirgistan ins Karavshin-Gebiet. Nach einer zweitägigen Anreise mit alten sowjetischen Jeeps über steile, ausgesetzte Passstraßen und einer achtstündigen Wanderung mit Eseln und Pferden erreichen sie das Basislager im KaraSu-Tal. Auf der Suche nach Abenteuern erkunden sie die gewaltigen Granitwände, von denen wir kaum Informationen besitzen. Die folgende Geschichte erzählt von ihrer Erstbegehung "Ak-Kalpak" am Little Asan.

Ein kalter Wind bläst mir ins Gesicht. Meine Goretex-Jacke flattert und die Schlaghaken an meinem Gurt klirren mit meinen Bewegungen. Ich schaue nach unten und sehe unterhalb meiner Füße den letzten Nagel. Ein dünner Messerhaken in einer fast verschlossenen Verschneidung. Wohl kaum wird er einen Sturz halten. Die Sicherungen darunter schauen noch schlechter aus und der letzte gute Friend ist weit unten. Ich beschließe, nicht länger darüber nachzudenken und konzentriere mich auf meine Füße. Die Spitzen meiner Kletterschuhe stehen auf kleinen Tritten und drohen jeden Moment abzurutschen. Ich kralle meine Fingerkuppen in die winzigen Granitleisten und suche nach Griffen. Doch alles über mir ist glatt und meine Finger finden keinen Halt. Aus Verzweiflung nehme ich einen Haken vom Gurt und setze ihn in einen schmalen Riss. Doch schon nach zwei Hammerschlägen erwidert der Haken dumpfe Geräusch. Es hat keinen Sinn. Ich muss klettern. Plötzlich entdecke ich links von mir einen Felsvorsprung und wittere meine Chance. Mit allerletzter Kraft schraube ich die Leisten zu und strecke meine Fußspitze zum Band. Langsam belaste ich den neuen Tritt und versuche mein Körpergewicht zu verlagern. Meine volle Konzentration gilt nun dem Tritt und jegliche Bedenken an einen ungemütlichen Sturz sind verschwunden. Ich ertaste mit meiner linken Hand die Wand hinter der Kante und kann mein Glück nicht fassen, als meine Finger in einen Riss versinken. Jubelnd richte ich mich auf und schwinge hinter die Kante. Die erste schwere Seillänge wäre geschafft. 

Bereits seit heute Morgen sind Moritz und ich nun unterwegs, um die wohl offensichtlichste Linie im ganzen Tal zu begehen. Da die gewaltige 150 Meter lange Verschneidung weder in unseren Topos noch in den Topos unserer russischen Basecamp-Freunde zu finden ist, hoffen wir auf eine Erstbegehung. Mit schweren Rucksäcken starteten wir vom Basecamp und erreichten nach einer Stunde das Materialdepot von Mo und Lisi. Mit Schrecken bemerkten wir, dass Mo und Lisi nach ihrem gescheiterten Versuch, den Odessa zu besteigen, wohl so durch den Wind gewesen waren, dass sie die Seile mitten in einen ausgetrockneten Bachbrett deponiert hatten. Die Regenfälle der letzten Tage führten natürlich dazu, dass die Seile komplett nass waren. 

Beim Einstieg angekommen, erlebten wir dann die nächste Enttäuschung. Die ganze Verschneidung ist übersät von Bohrhaken. Was für eine Schande, vor allem weil die Linie mit großen Friends clean möglich wäre. Nach kurzem Überlegen schweifen unsere Blicke zu einer auffallenden Schuppe weiter links in der Wand. Wir hatten diese extrem kühne Linie bereits vor ein paar Tagen als unmöglich eingestuft, doch in diesem Moment nahm unser Optimismus die Überhand und so standen wir kurze Zeit später am Stand nach der leichten Einstiegslänge. Mit dünnen Haken, kleinen Friends und Microkeilen bewaffnet stieg Moritz in eine steile abweisende Verschneidung ein. Die Wände links und rechts sind glatt und noch feucht vom Regen. Der Riss in der Mitte ist an manchen Stellen gerade breit genug für eine fragliche Sicherung. An Freiklettern ist nicht zu denken. Meter für Meter arbeitete sich Moritz technisch nach oben. Als die Verschneidung nach etwa 20 Metern in eine Sackgasse zu enden schien, ließ Moritz sich völlig erschöpft zum Stand herab und übergab mir die Führung. 

Ich hänge nun hier am Stand und beobachte Moritz beim Nachklettern. Die freie Begehung wird auf jeden Fall eine riesige Herausforderung, doch nun gilt es weiterzukommen. Die dritte Seillänge ist nicht so schwer und geht schnell. Ich bohre zwei Bohrhaken am Stand und schicke Moritz sofort in die nächste Länge. Etwa fünf Meter links von uns beginnt ein Riss, der uns wunderschöne Freikletterei verspricht. Doch eine senkrechte Platte trennt uns noch von unserem Ziel und bildet das große Fragezeichen unserer Linie. Zu unserer Freude entdecken wir einige Leisten und aus den Fragezeichen wird ein Hoffnungsschimmer. Nach einigen gescheiterten Pendelversuchen wählt Moritz die Freiklettermethode und krallt sich an den abschüssigen Leisten fest. Mehrmals stürzt er ins Seil, doch er hat den Braten bereits gerochen und weiß, dass es möglich ist. Wieder und wieder sammelt er seine gesamten Kräfte und irgendwann erreicht er mit einem dynamischen Zug die rettende Leiste. Jubelnd versenkt er einen Friend und kämpft sich über den leicht grasigen Riss zu unserem nächsten Standplatz. Beim Nachklettern wird mir erst bewusst, wie schwer die Züge in der Traverse sind. Doch wir bleiben optimistisch und freuen uns auf die ersten Freikletterversuche.

Der Blick nach oben ist wie ein Blick ins Paradies. Eine 90°-Verschneidung mit einem perfekten Handriss pfeift kerzengerade nach oben, wo sich der Riss hinter einem Dach unserem Blickfeld entzieht. Da wir nur zwei Sätze Friends dabeihaben und der Riss von unten bis oben gleich breit ist, muss ich ständig auf und nieder klettern. Das Dach lässt sich in fantastischer Kletterei überwinden und schließt die Seillänge auf bester Weise ab. Da sich vom Tal bereits eine bedrohliche Gewitterwolke nähert, fixieren wir unser Statikseil, seilen ab, deponieren unser Material und laufen in schüttendem Regen zurück zum Basecamp. 

Am nächsten Morgen stehen wir wieder am Einstieg, ziehen uns am Fixseil hoch und erreichen in kürzester Zeit den Umkehrpunkt von gestern. Bereits am Einstieg haben wir bemerkt, dass wir unser sorgfältig zubereitetes Brot im Basecamp vergessen haben. Drei Riegel sollen heute also unseren Hunger stillen. Einen davon haben wir schon verdrückt. 

Die nächsten zwei Längen werden das Herzstück unserer Route bilden. Eine riesige Schuppe, bereits vom Weitem ersichtlich, durchzieht die aalglatte Granitplatte wie im Bilderbuch. In genialer Freikletterei genießen wir unser Glück und richten am Ende der Schuppe einen Stand an zwei Bohrhaken ein. Das zweite große Fragezeichen steht nun bevor. Der Riss ist aus und wir stehen in der Platte. Unser ursprünglicher Plan über rechts zum nächsten Riss zu gelangen, wird von einer kahlen grifflosen Platte verhindert. Wir versuchen es über links. Fünf Meter über den Stand setzt Moritz einen guten Cliff, den er am liebsten als Sicherung verwendet hätte. Ich überzeuge ihn, einen Bohrhaken zu setzen und sichere ihn anschließend mit aufmerksamem Blick über einen langen Runout ins leichtere Gelände. Von dort sollte man leicht hinter die Kante auf den Gipfelgrat kommen. Doch der Handriss über unseren Köpfen zieht uns an und wir wählen den Weg des größeren Vergnügens. So meinen wir zumindest. Kurz vor dem erlösenden Felsband wird der Handriss zu einen breiten Offwidth. Unsere Friends sind zu klein. Ich bin kurz vor dem Umdrehen, als ich einen möglichen Ausstieg über eine Traverse nach rechts bemerke. Ich klettere sofort los und bemerke erst auf halbem Weg, dass die Kletterei viel schwieriger ist als gedacht. Gerade in diesen Moment fängt es an, leicht zu regnen und meine Griffe werden mit jedem Tropfen rutschiger. Ich kann nicht mehr zurückklettern und ein Sturz ist inakzeptabel. Doch eine vorsichtige Flucht nach vorne rettet mich aus dieser unschönen Lage. Auch die nächste Länge ist viel schwieriger als vom ersten Blick erwartet. Doch dank eines Bohrhakens und einiger Momente des Atemanhaltens gelingt uns auch diese letzte Länge und wir erreichen total ausgelaugt, aber überglücklich das wunderschöne Gipfelplateau des Little Asan auf zirka 3600m. 

Am nächsten Tag, einem Pausentag im Basecamp, bekommen wir von unserem einheimischen Organisator einen traditionell kirgisischen Hut, einen Ak-Kalpak, geschenkt. Wir beschließen kurzerhand den Hut morgen bei unserem ersten Freikletterversuch mitzunehmen. Phillip Geisler, ein starker Kletterer aus Tirol, begleitet uns, weil sein Kletterpartner krank ist. An diesem Tag kann ich die erste Schlüsselseillänge frei klettern, allerdings mit bereits platzierten Sicherungen. Moritz und Phillip hingegen können die Züge in der zweiten Schlüsselseillänge entschlüsseln und kommen sehr knapp an einen Durchstieg. Am Tag darauf gelingt mir auch diese Länge und wir schaffen auch alle weiteren Seillängen bis zum Gipfel zu befreien. Mit tiefster Zufriedenheit blicken wir auf unsere Linie und freuen uns darüber, die aktuell schwierigste Freikletterroute in Karavshin eröffnet zu haben. Als Dank für die kirgisische Gastfreundschaft nennen wir unsere Route „Ak-Kalpak“, der für den Stolz und die Einigkeit der Kirgisen steht. Wir sind froh, in der stark vom technischen Klettern geprägten, russischen Bergsteigerkultur unsere Visionen vom modernen Freiklettern hinterlassen zu können und freuen uns schon auf die erste Wiederholung.

Geschrieben von Patrick Tirler im Basecamp am 3. August 2022

Erstbegehung der "Ak- Kalpak" © Patrik Tirler und Moritz Sigmund

Routeninformationen

„Ak-Kalpak“

Gebirge: Pamir-Alay

Gipfel: Little Asan

Erstbegeher: Moritz Sigmund und Patrick Tirler 1-2.08.2022

Schwierigkeit: 8a+ (7b obligatorisch)

Länge: 280m

Seillängen: 11

Felsart: Granit

Charakter: Wunderschöne Freikletterroute in einer sehr alpinen Umgebung. Die Route ist mit einigen Bohrhaken und Normalhaken versehen, muss aber großteils selbst abgesichert werden.

Ausrüstung: NAA, 60m Halbseile, 2x BD#0.1-0.5, 3x BD#0.75-#2, 1x BD#3, Stopper

Abstieg: Abseilen über die Route (60m!)

„Diese Route wurde mit Haken des AVS-Alpinfonds erstbegangen“