Jugendgruppe im Klettersteig © AVS Sektion Bozen
Was macht Klettersteige so besonders? Ist es die Tatsache, dass man Bergerlebnisse in extremem Gelände erfahren kann, ohne mit Seil klettern zu müssen? Oder dass Gipfel für eine breite Masse erreichbar werden, die sonst nur der Alpinkletterszene vorbehalten wären? Die Faszination Klettersteiggehen ist bei Einheimischen wie Touristen sehr beliebt und auch im Tourenprogramm jeder Sektion zu finden.
von Florian Trojer, Stefan Steinegger, Stephan Illmer (Bergeerleben 03/2021)
Die Anfänge
Berge und Steilstufen mit technischen Hilfsmitteln, wie z. B. Leitern und Fixseilen zu erklimmen ist keine Erfindung der Neuzeit. Bereits 1492, Kolumbus entdeckte gerade Amerika, verordnete der französische König die Besteigung des Mont Aiguille in der Dauphiné. Die beauftragten Soldaten lösten das Problem mit Hilfe von Sturmleitern, die normalerweise zur Überwindung feindlicher Bollwerke dienten. Am 28. Juni 1492 standen die glücklichen Gipfelstürmer schließlich am Hochplateau des Aiguille und mussten von nun an als Erfinder des Klettersteigs herhalten.
Doch die ersten Klettersteige im eigentlichen Sinn entstanden sehr viel später. Erst musste das Bergsteigen zum Selbstzweck werden. Touristen und Einheimische veränderten ihren Blick auf die Berge, die Alpen wurden zum Erlebnisraum. 1843 wurde unter Zuhilfenahme von Eisenzapfen, Handhaken und eines 80 Klafter langen, dicken Schiffstaues der erste Klettersteig auf den Dachstein eröffnet. In den folgenden Jahrzehnten entstanden mehrere Steiganlagen im nördlichen Ostalpenraum. Ein besonders beliebtes Ziel der Klettersteigbauer war die Zugspitze, an der zwischen den Jahren 1873 und 1897 gleich vier gesicherte Wege eingerichtet wurden.
Abstieg durch das Höllental von der Zugspitz um 1900 © DAV Archiv München
Versicherter Steig um 1900 © DAV Archiv München
Erste Klettersteige in den Dolomiten
Südlich des Alpenhauptkamms mussten Bergbegeisterte noch etwas warten, wenn sie sich auf diese Art dem Gipfel nähern wollten. Einer der ersten Klettersteige, die in Südtirol errichtet wurden, war der Pößnecker-Klettersteig, der auf den Piz Selva am Sellastock führt. Er zählt bis heute zu den anspruchsvollsten und auch beliebtesten Klettersteigen der Dolomiten, der logische Verlauf und die luftige Streckenführung machen ihn nach wie vor zu einem einmaligen Erlebnis. Gebaut wurde der Pößnecker-Steig von der namensgebenden Sektion Pößneck des Deutschen und Österreichischen Alpenvereins.
Eine Vielzahl von Klettersteigen „verdanken“ die Dolomiten dem Ersten Weltkrieg. Entlang der Dolomitenfront wurden zahlreiche Versorgungswege eingerichtet, aus dem Fels gesprengt und mit Eisensicherungen versehen. Viele der damals unter unmenschlichen Bedingungen errichteten Kriegssteige sind heute noch erhalten und begehbar, ein klassisches Beispiel ist der Alpinisteig in den Sextner Dolomiten.
Nach dem Ersten Weltkrieg wurde es für Jahrzehnte ruhig um das Phänomen Klettersteig, doch die Ausnahme bestätigt die Regel. In den 1930er-Jahren errichtete die Società degli Alpinisti Tridentini die Via delle Bocchette in der Brentagruppe, die heute zu den absoluten Klettersteig-Klassikern gehört und sehr viel begangen wird.
Der große Boom
Der große Aufschwung folgte in den 1960er- und 1970er-Jahren. Mit dem Massentourismus kamen auch „Massen“ an neuen Klettersteigen. Alte Steiganlagen wurden saniert und neue errichtet. Die Klettersteige wurden meist mit dem Aspekt errichtet, „normalen“ Bergsteigern neue Herausforderungen zu bieten und Gipfel bzw. Wände zu erschießen, die sie sonst nicht erreichen könnten. Viele dieser Steiganlagen führen in anspruchsvoller Linienführung durch beeindruckende Landschaften. Verglichen mit dem aktuellen Boom waren diese ersten Zuwächse nur ein kleines Aufflackern des beginnenden Interesses am Klettersteigsport. Im gesamten Ostalpenraum wurde eine Vielzahl neuer Wege errichtet, das Klettersteig-Gehen entwickelte sich zu einer eigenständigen Disziplin. Und mit den neuen Klettersteigen kam auch die Frage nach der Sinnhaftigkeit der vielen Neuerschließungen – Kritiker sprachen von einer Sackgasse, einem Irrweg. Berühmt geworden ist in diesem Zusammenhang der vielzitierte Ausspruch Reinhold Messners: „Ich bin so vielen begeisterten Menschen auf Klettersteigen begegnet, dass ich dafür sein muss, in bestimmten Grenzen natürlich und wenn sie nicht unterschätzt werden.“
Die Diskussion um die Sinnhaftigkeit von Klettersteig-Neuerschließungen ist bis heute aktuell, vor allem im Hinblick auf die Aspekte Naturschutz und Übererschließung. Ein prominentes Südtiroler Beispiel dazu ist der Stevia-Klettersteig. Ohne Genehmigung am Rande eines Natura 2000-Gebietes erbaut, blieb der Steig offiziell gesperrt, erfreute sich aber bei den Klettersteiggehern enormer Beliebtheit – bis er vor rund 10 Jahren abgebaut wurde.
Spaß-, Schlucht- und Sportklettersteige
Familie im Klettersteig © Simon Kehrer
Schwer, schwerer, am schwersten
Über viele Jahrzehnte markierte der Schwierigkeitsgrad E das Ende der Fahnenstange. Ein Schwierigkeitsgrad, der für sehr gut trainierte Klettersteiggeher in der Regel zu bewältigen ist. Vor gut 10 Jahren reichten diese Herausforderungen nicht mehr und es mussten noch schwerere Klettersteige her. Aktueller Schwierigkeits-Höhepunkt ist die Via Ferrata Extraplomix auf Gran Canaria. Bei diesem privat errichteten Klettersteig wird der aktuell höchste Schwierigkeitsgrad G erreicht.
Klettersteig Leiter © Simon Kehrer
Wie geht es weiter?
Es ist zu erwarten, dass der Boom an neuen Klettersteigen auch in den nächsten Jahren nicht abebben, sondern sich höchstens etwas abschwächen wird. Je mehr Stahlseile unsere Berge überziehen, desto größer wird wohl die Aufmerksamkeit von Naturschutzseite her werden. Die andauernde Klimaerwärmung zwingt Seilbahnbetreiber und Touristiker jedenfalls, Alternativen für das bedrohte Wintersport-Geschäft zu finden und da bieten sich Klettersteige, bei denen als Abstieg die Seilbahn benutzt wird, geradezu an. Was die Schwierigkeit betrifft, wird der Schwierigkeitsgrad G wohl die absolute Ausnahme bleiben. Teilweise geht der Trend bereits wieder in Richtung leichterer, familientauglicher Klettersteige. Schließlich ist die Errichtung eines normgerechten Klettersteigs teuer und muss sich in Form von Seilbahntickets, Hüttenbesuchen usw. rechnen. Beim Boom ist jedenfalls kein Ende in Sicht, da die mit Drahtseilen gut abgesicherte Kombination aus Naturerlebnis und Nervenkitzel täglich neue Fans bekommt.
von Florian Trojer, Steffan Steinegger, Stephan Illmer
Innsbrucker klettersteig © Norbert Freudenthaler
Klettersteigvarianten
Beim Klettersteiggehen werden Unterschiede nicht nach Begehungstechnik gemacht, sondern nach Art der Bauweise der Klettersteige. Diese sprechen Bergsportler mit mitunter grundverschiedenen Ambitionen an. In Südtirol findet man vorwiegend versicherte Steige (ca. 200 Abschnitte auf Wanderwegen) und klassische Klettersteige (ca. 75 Klettersteige)
- Versicherte Steige: Versicherte Steige weisen kein durchgehendes Sicherungsseil auf. Im Wegverlauf auftretende, schwierige und ausgesetzte Stellen können abgesichert sein. Versicherte Steige werden meist ohne Klettersteigset begangen. Abhängig vom Schwierigkeitsgrad des Weges können Wanderer und Bergsteiger gleichermaßen auf versicherte Steige treffen.
- Klassische Klettersteige: Mit durchgehendem Drahtseil versehen, führen klassische Klettersteige durch im Vergleich zu den Sportklettersteigen weniger steiles Gelände. Auch für ihre Begehung ist die Verwendung eines Klettersteigsets notwendig.
- Sportklettersteige: Meist sportlich ausgerichtete, mit durchgehendem Stahlseil versehene Kletteranstiege in steilem Felsgelände. Für die Begehung sind in der Regel überdurchschnittliche konditionelle Fähigkeiten und ein Klettersteigset notwendig. In manchen modernen Sportklettersteigen gibt es spektakuläre Installationen wie Hängebrücken oder „Seilbahnen“.
Schwierigkeitskala
Schwierigkeitsgrade Klettersteige © DAV
Bauelemente – die neue Norm
Im Jänner 2018 wurde die neu erarbeitete europäische Norm EN 16869 zum Bau von Klettersteigen veröffentlicht. Sie beschreibt sicherheitsrelevante Mindestanforderungen an Klettersteiganlagen und muss seit drei Jahren angewendet werden.
Einige interessante Informationen zur Umsetzung der neuen Norm:
- Bestehende Klettersteige: Ein Klettersteig, der entsprechend der bisherigen Bauempfehlung „Kletter: Steige – Errichtung, Wartung, Sanierung (Ausgabe 2014)“ errichtet wurde, muss nicht hinsichtlich der neuen Norm umgerüstet werden.
- Sanierungen von Klettersteigen: Muss ein bestehender Klettersteig bzw. ein Abschnitt saniert werden, so müssen für die Sanierung allerdings die neuen Normvorgaben eingehalten werden.
- Neubau von Klettersteigen: Wird ein neuer Klettersteig gebaut, so muss dieser laut neuer Norm gebaut werden. Beim Neubau sollten nach Möglichkeit einheitliche Anker für die gesamte Klettersteiganlage verwendet werden (gleicher Durchmesser und gleiches Material).