„Via Erna 61 (VII+)“, Col Rosà, Cortina
Erstbegehung der "Via Erna 61" © Josef Hilpold und Andreas Gschleier
Erstbegehung im Höhlensteintal von Josef Hilpolt und Andreas Gschleier im September 2011.
Angefangen hat alles beim AVS-Bergsteigertreff in Arco bei einem Bier. Oder mehreren. Und es sind nicht immer Schnapsideen die daraus entstehen. Josef fragte mich, ob ich denn Lust hätte ihn zu begleiten. Wohin, wusste er noch nicht genau. Eines wusste er jedoch: Er wollte eine neue alpine Klettertour eröffnen. Wie jedes Jahr, denn das hatte sich Josef mittlerweile in den Kopf gesetzt, sollte in einer unberührten Wand eine neue Tour eröffnet werden. Ich sagte ihm zu, ohne zu zögern.
Es war angenehm warm für den Herbst, trotzdem entschieden wir uns für eine Südostwand. in bisschen Komfort muss sein. Kurz vor Cortina, auf der rechten Seite des Höhlensteintales liegt der Col Rosà. Nicht hoch, nicht berühmt, aber mit einer unbestiegenen vierhundert Meter hohen Felswand. Wir treffen uns am Vorabend und fahren gemeinsam in Richtung Toblach. Genauer gesagt in Richtung der Tankstelle kurz vor Toblach. Eine kleine Bar an der Tankstelle, die sogenannte „Agip-Bar“, ist unser Ziel.
Ein Treffpunkt mit ungehobeltem Flair: betrunkene Arbeiter nach Feierabend, singende Handeslvetreter, dickbäuchige LKW-Fahrer. Und mitten in dem ganzen Haufen steht Erna, die kleine quirlige Barbetreiberin. Sie empfängt uns mit offenen Armen. Ihre Augen funkeln, wenn wir ihr von den Bergen erzählen. Sie schenkt uns immer wieder ein und lässt uns hinter dem Haus unser Nachtquartier aufschlagen.
Bereits um fünf Uhr ist Erna wieder auf den Beinen, mit gewohnter Herzlichkeit werden wir geweckt. Wir kriechen etwas schlaftrunken aus Josefs Kleinbus. Marmeladegipfel und Lattemacchiato, dann geht es in Richtung Col Rosá.
Bei einer Erstbegehung gibt es mehrere Möglichkeiten. Man kann großaufnahmige Fotos studieren, über die Wand abseilen oder die Wand im Winter anhand des liegengebliebenen Schnees deuten. Oder man packt einfach seine Ausrüstung zusammen und steigt in die Wand ein, um es einfach zu versuchen. Man weiss nicht, was einen erwartet und beim Klettern steht man Seillänge um Seillänge vor neuen Aufgaben. Es gilt den Fels zu deuten, eine möglichst leichte Aufstiegslinie zu wählen um gleichzeitig sicher voranzukommen.
Jede neue Aufstiegslinie hat einen eigenen Charakter, der unweigerlich von den Erstbegehern beeinflusst wird. Die Entscheidungen die in der Wand getroffen werden sind die Bausteine des Endprodukts. Einige Alpinisten behaupten, dass Klettertouren etwas mit Kunst zu tun hätten. Der Bergsteiger schafft durch seinen Intellekt ein unauslöschliches Kunstwerk und drückt sich damit selbst mithilfe der Natur aus. Hochmut gab es schon immer denke ich mir. Sicher ist, dass es ein unbeschreibliches Gefühl der Verbundenheit mit der Umwelt darstellt und wahrhaftig beinhaltet das Klettern eine gewisse Sinnlosigkeit die auch der Kunst eigen ist. Es tut gut Dinge ohne triftigen Grund zu tun.
Wir steigen in die Wand ein. Es fängt gleich schon gut an. Nicht allzu schwierig, dennoch schöne Passagen, wir kommen schnell voran. Josef zögert in der dritten Seillänge als er unter einem Dach die Wand sechs Meter queren muss. „Nichts zum sichern…!“ flucht er von oben und hangelt über kleine Leisten nach rechts. In der nächsten Seillänge kämpfe ich mich über einen etwas brüchigen Riss in die Höhe, dann wieder ein Quergang. Ich schnaufe heftig. Ober uns sind kompakte Platten. „Ein wunderschöner Fels, aber zum sichern die Hölle.“ Das Klettern wird immer schwerer, wir klettern nahe an der Sturzgrenze. Kleine Griffe, immer weniger Tritte, kein Nagel passt. Und dann haben wir es geschafft, nach oben hin wird es einfacher und wir kommen wieder schnell voran. Wir scherzen als wir an einem Stand ein Edelweiss entdecken: „Wo Gras wachsen kann, kann man gar nicht von klettern sprechen, da ist jede Promenade schwerer!“
Nach zwei Tagen haben wir es geschafft, ab nach Toblach in die Agipbar.
Erstbegehung der "Via Erna 61" © Josef Hilpold und Andreas Gschleier
Routeninformationen
Via Erna ´61,
VII+, 12 Seillängen mit insgesamt 430 Klettermetern
Eröffnet von Josef Hilpold und Andreas Gschleier im September 2011