„Das Erbe der Väter (IX-)“, Große Zinne Nordwand
Erstbegehung der "Das Erbe der Väter" © Simon Gietl und Vittorio Messini
Simon Gietl und Vittorio Messini gelang eine neue Linie durch die Nordwand der großen Zinne, rechts der klassischen Nordwandführe Comici. Auch ihre Tour sollte eine natürliche Linie werden, die den natürlichen Gegebenheiten folgen und ohne Bohrhaken auskommen sollte ...
Das Erbe der Väter
Ich kann mich noch gut an diesen für mich so besonderen Tag erinnern.
Sprachlos war ich bereits am Paternsattel, wo man zum ersten Mal die Nordwände erblickt. Der anschließende Zustieg, der direkt unter die teils überhängende Nordwand der Großen Zinnen führt, weckte in mir den Gedanken, ob es überhaupt eine gute Idee war, in die Route einzusteigen. Werners Erfahrung und seine ruhige Art halfen mir, an das Wesentliche zu denken. Trotzdem zog es meinen Blick immer wieder nach oben in die atemberaubende Wand. Als die Karabiner ihren Platz am Gurt gefunden hatten, gab es nur noch einen Gedanken: „Was wird uns da oben erwarten?“
Die darauffolgende Seillänge, die von zwei großen Schuppen dominiert wird, gestaltete sich mehr delikat als schwierig. Ein Absatz nach den zwei dröhnenden Schuppen bot die Möglichkeit einen Stand einzurichten. Direkt darüber ziert ein Überhang die Wand. Zunächst noch senkrecht und plattig wird dieser zum Ende hin immer abdrängender, bis schlussendlich noch ein bauchiger Überhang zu überwinden ist. Diese Seillänge sollte klettertechnisch die schwerste Stelle der Route werden.
Nach dieser schwierigen und ebenso langen Seillänge kommt man auf ein ausgeprägtes Band. Von dort aus sind es noch zwei steile Seillängen im Kraft raubenden Gelände, bis die Route schließlich das große Verschneidungssystem des rechten Nordwandteiles erreicht. Ein nach links ziehender Riss bot uns die Möglichkeit aus der Verschneidung zu klettern. Kurz darauf baumelten wir am ausgesetztesten Standplatz der Route. Zwei anspruchsvolle Wandstellen trennten uns noch vom vermeintlich leichten Teil der Erstbegehung. Doch wir sollten uns täuschen. Der letzte Teil gestaltete sich schwieriger und abweisender als gedacht. Sicherungstechnisch und klettertechnisch gehört dieser Teil der Route, zu jenen, die man auf keinen Fall auf die leichte Schulter nehmen sollte. Aber auch diesen Abschnitte konnten wir traditionell absichern und ohne Verwendung von Bohrhaken meistern.
Die letzten drei Seillängen zum Ringband sind gleich wie jene der Route „La Strada“ und gestalteten sich relativ einfach und demensprechend kamen wir dort zügig voran. Dennoch galten unserer Respekt, Ehrfurcht und Bewunderung den Erstbegehern der klassischen traditionell eingerichteten Führen an den steilen gelben Wänden der Drei Zinnen. Vor über achtzig Jahren gelang es ihnen mit verhältnismäßig schlechter Bekleidung und Schuhen und noch schlechteren Klettermaterial eine solch abdrängende Wand wie jene der Großen Zinne zu bezwingen. Nur kurz mussten wir uns über den Namen unserer Erstbegehung Gedanken machen. Wir wollten mit unserer Route und unserem Stil der Routenerschließung den großen Kletterern der frühen Zinnenerschließung zu Beginn des 20. Jahrhunderts Tribut zollen. „Das Erbe der Väter“ war geboren…