„Spirit Bird (7c+)“, Aladağlar, Türkei
Erstbegehung der "Spirit Bird " © Martin Dejori, Aaron Moroder und Alex Walpoth
Zwischen Çay und Kebab - Geschichte einer Erstbegehung im Aladağlar. Aaron Moroder, Alex Walpoth und Martin Dejori berichten über ihre Klettererlebnisse in der Türkei.
”“Da gibt es ja noch diese bärige Erstbegehung am Sas Ciampac, die wir veröffentlichen sollten“ – „Ja, aber davor müssen wir sie ja erst noch frei klettern…“
Alex Walpoth und Martin Dejori
Nach manchen Erstbegehungen diskutierten wir lange über den Namen, sodass die Namenswahl die Schwierigkeit der härtesten Züge in der Wand übertraf. Doch zum Glück geht es auch anders.
Nach unserer neuen Route in der Türkei einigten wir uns sogar ohne Worte auf den Namen. In der Nacht, im Schein unserer Stirnlampen, hatten wir einen Pfeilerkopf erreicht, an dem die Route für uns zu Ende war. Wir befanden uns unter einem funkelnden, unerreichbaren Sternenhimmel. Die Lichter der Zivilisation schienen ebenso weit entfernt zu schwirren. Aus unserer Musikbox, die wir auch zu den abgelegensten Orten mitnehmen, erklang der Song „Spirit Bird“ von Xavier Rudd: Der Beginn ein melodisches Zupfen einer akustischen Gitarre, dann eine sanfte, fast schüchterne Stimme, bis allmählich eine Lawine aus Klängen und Emotionen losbricht; die, einmal zum Stillstand gekommen, ein Lächeln im Gesicht hinterlässt. In der Abgeschiedenheit erreichte der Song für uns eine besondere Intensität.
Die Kommunikation gestaltete sich als schwierig, weil die meisten nur schlecht Englisch sprechen. Um mit einem sehr sympathischen Brotverkäufer den traditionellen Çay (Rize-Tee) zu trinken, reichte es jedoch allemal. Nach ein paar sehr aktiven und wenigen trägen Tagen begaben wir uns das erste Mal zur Wand Kızılın Başı. Bereits von zu Hause aus hatten wir auf dieser Wand gute Möglichkeiten für eine neue Route ausgemacht. Jetzt wollten wir und an den Felsen und die Eigenheiten gewöhnen. Dazu kletterten wir die Route „Red, Moon and Star“ von Rolando Larcher und Luca Giupponi.
Die Route verläuft genau entlang jener wunderbaren Linie, die auch wir an der unangetasteten Wand gewählt hätten. So wurde uns nur die Freude des Kletterns zuteil, während uns die Mühen des Einbohrens erspart blieben. Die Wand schaffte es, uns von Anfang an zu begeistern: Mit ihrer Exposition, den spannenden Farben und dem Geheimnis, ob noch eine weitere Linie kletterbar wäre. Nach eingehendem Studieren hatten wir zwei Möglichkeiten ausgemacht: in der Nähe von „Red, Moon and Star“ oder noch weiter rechts davon, wo die Wand weniger überhängend und nicht ganz so hoch war. Erstere war schwieriger und anziehender, aber in den wenigen verbleibenden Tage nicht sicher bewältigbar. In Letzterer wären wir sicher ausgestiegen, aber sie war bei weitem nicht so reizvoll. Wir stimmten überein: Die schwierige Linie versuchen und einfach alles geben. Mit Gewissheit voraussehbare Erfolge machen einen sowieso nicht wirklich zufrieden.
Wir richteten unsere Route mit Bohrhaken ein. Jeweils zwei in jedem Stand und dazwischen gerade so viele, dass wir keine Angst hatten. Fanden wir Sanduhren oder schön parallele Risse zogen wir mobile Sicherungsmittel vor. Eigentlich sind wir es gewohnt, Erstbegehungen nur mit Normalhaken zu bewältigen. Wir hatten uns bewusst dazu entschieden, diesmal einen anderen Stil zu probieren. Die Handhabung der Bohrmaschine mussten wir erst erlernen. Doch bald stellte sich Routine ein: Ein paar Meter klettern, Cliff ansetzen und sich ihm anvertrauen, Maschine hochziehen und den Bohrhaken anbringen. Die reine, angstfreie Freude am Klettern und die Suche nach dem besten Felsen rückten in den Vordergrund. Das Abenteuer und die Ungewissheit gingen jedoch mit der Bohrmaschine etwas verloren. Dafür hatten wir viel Spaß, der am Ende des Tages einer zufriedenen Müdigkeit wich.
Am dritten Tag zwang uns die Wand kurz vor Ende der Schwierigkeiten zu einer wichtigen Entscheidung. Die geplante und gleichzeitig ästhetischste Linie zog etwas nach links zu einem beeindruckenden Überhang, der von einem gelben und einem schwarzen Riss durchzogen war. Dieser Eindruck wurde uns zumindest auf den Fotos vermittelt. Doch wie die Wandstruktur wirklich geformt ist, blieb uns noch verborgen. Solange, bis Martin zum Beginn des schwarzen Risses hochkletterte und Aaron und mich nachsicherte. Martins Blick verhieß bereits nichts Gutes. Der schwarze Riss war schier inexistent.
Das, was wir auf den Wandfotos als kletterbaren Riss interpretiert hatten, war bloß eine besonders dunkle Tönung des beeindruckend steilen Aufschwunges. Doch unser Optimismus blieb ungebrochen. Ein paar Löcher, teilweise nur ein oder zwei Finger breit, wiesen einen Weg nach oben. Vielleicht lag er auch außerhalb unserer Fähigkeiten, aber ich startete einen Versuch. Die Züge waren extrem schwierig. Ich schaffte nicht mehr als drei hintereinander. Nach 15 Metern lehnte sich die Wand etwas zurück, zwei wirklich schmale Leisten ermöglichten es mir, einen kurzen Riss zu erreichen. Es fehlten dennoch drei Meter, bis die Wand flacher wurde. Auch der blindeste Optimismus kann keine Griffe an den Felsen zaubern. Ich befand mich vor einer spiegelglatten Fläche. Enttäuschung kam auf. Martin ließ mich ab.
Er hatte seine Konzentration bereits auf die alternative Möglichkeit gelenkt, auf einen griffreicheren Wandbereich weiter rechts. Mithilfe einer ausgeklügelten Seilzugquerung gelang es ihm, den neuen Stand einzurichten. Aaron und ich folgten ihm. Die Bohrhaken des ursprünglichen Versuchs blieben an ihrer Stelle, sie belegen unsere große Motivation und unseren naiven Optimismus. Stärkere Kletterer sind natürlich eingeladen, unsere ursprüngliche Linie fertig zu stellen, obwohl wir starke Zweifel hegen, dass diese letzten Meter überhaupt kletterbar sind. In diesem Moment dachten wir jedoch daran, nach oben zu kommen. Die Sonne stand bereits tief. Das Staunen über die unglaublich warmen Farben hielt sich die Waage mit dem Stress, den die hereinbrechende Nacht provozierte. Im Grunde löste nur das schwindende Licht Unruhe aus. Sobald die Nacht uns vollständig umfing, legte sich eine sehr angenehme Gelassenheit über unsere Seilschaft. Jene verwandelte sich nach der letzten, deutlich leichteren Seillänge im Klang von „Spirit Bird“ in tiefe Zufriedenheit.
Die Erstbegehung von „Spirit Bird“, zusammen mit all den anderen gekletterten Routen, den Eindrücken der einsamen Landschaft und der freundlichen Menschen, machten die Reise ins Aladağlar in der Türkei zu etwas ganz Besonderem.
Alex Walpoth
Erstbegehung der "Via Flamingo" © Martin Dejori und Alex Walpoth
Routeninformationen
Sehr schöne und abwechslungsreiche Kletterei über die leichteste Linie im zentralen Wandteil. Die Route bietet Platten-, Verschneidungs- und steile Wandkletterei in sehr gutem Felsen. Insgesamt anspruchsvoll und kraftraubend. Ganz wenige Abschnitte sind brüchig; nach sorgfältigem Abräumen unsererseits kann man sie jedoch problemlos überwinden.
Die anfangs versuchte Linie im oberen Wanddrittel benannten wir “Project Pton”. Die Seillänge bis zum letzten Stand ist 7c+, danach sind wir noch 20 Meter weiter geklettert. Am letzten Bohrhaken, unterhalb einer spiegelglatten Wand, ist ein Maillon Rapide verblieben. Bis dahin wahrscheinlich 8b+ oder schwerer, darüber hinaus in freier Kletterei kaum, wenn nicht unmöglich.
Alpine Sportkletterroute. Die Route wurde von unten unter Verwendung der Bohrmaschine für das Anbringen von Bohrhaken verwendet. Für das Anbringen der Spit wurde jeweils im Cliffhanger oder in einem Friend gerastet. Die schwierigsten Kletterzüge befinden sich nicht in direkter Bohrhaken-Nähe. Beim Eröffnen wurden keine Stellen im technischen Stil begangen, wobei aber auch nicht jedes Reinhängen im Cliff zum Anbringen eines Bohrhakens geführt hat. Wichtig ist für uns, dass wir die Route im Nachhinein frei geklettert sind und den Wiederholern eine aus unserer Sicht vernünftig eingerichtete Route hinterlassen.
Über weite Flächen, durch einen dichten Wald und zuletzt über steile, bewachsene Hänge nach rechts zur Wandbasis. Pfade sind nur spärlich ausgebildet.