„Neolit (IX-)“, La Dorada, Kolfuschg, Gröden
Erstbegehung der "Neolit " © Simon Gietl und Vittorio Messini
Simon Gietl und Vittorio Messini glückte eine weitere Erstbegehung oberhalb von Kolfuschg.
Die Tour zeichnet sich durch technische Kletterei im kompakten Fels und einen Schwierigkeitsgrad von bis zu IX- aus. „Alles in allem eine anspruchsvolle, aber wundervolle Kletterroute, die ich nur weiter empfehlen kann“ erklärt Gietl.
Das Projekt Neolit
Als ich im Herbst 2013 gemeinsam mit Mark Oberlechner die Erstbegehung “Scharfe Helene” am Crep de Boe in den Dolomiten machte, bemerkte ich beim Abstieg oberhalb von Kolfuschg einen schönen markanter gelben Pfeiler.
Fast ein Jahr später gingen Vittorio Messini und ich mit voll gepackten Rucksäcken zu eben diesem Pfeiler. Ich hatte mich einige Tage vorher bei meinen guten Freund und Bergführer Andrea Oberbacher aus Kolfuschg informiert, ob der linke Teil der Wand noch frei sei. Andrea konnte mir einen guten Überblick der bestehenden Touren geben und so stellte sich heraus, dass der ganze linke Teil noch „jungfräulich“ war.
Los geht’s
Nach rund 40 Minuten Fußmarsch erreichten Vittorio und ich den Einstieg der Route “Pescione ed airona”. Unser Plan war es, die erste Seillänge dieser Tour zu wiederholen und danach mit zwei leichten Seillängen direkt zur Pfeilerkante zu gelangen.
Ein Riss gab uns die Linie in der gelben Wand vor und wir konnten es kaum erwarten das neue Projekt anzugehen. Nach 10 Metern schlug ich den ersten Haken genau unter einem kleinen Überhang. Teils frei, teils technisch ging es schnell weiter, bis der gut abzusichernde Riss sich nach ca. 30 Metern langsam auflöste. Der einzige Weg weiter durch die Wand führte nach rechts in eine kompakte Platte. Über dieser hofften wir passende Verhältnisse für die Einrichtung eines Standplatzes vorzufinden.
Schon die ersten Züge in der Platte waren alles andere als leicht. Nachdem ich endlich einen guten Griff in der Hand hatte und mich etwas ausruhen konnte, wurde mir klar, dass es keine Sicherungsmöglichkeit gibt und zurückklettern auch nicht möglich war. Es schien jedoch drei Meter oberhalb von mir ein Querriss zu sein. Mit Aussicht auf einem sechs Meter Pendelsturz, der in einer stumpfen Verschneidung enden würde, kämpfte ich mich bis zum Riss. Dort konnte ich endlich den ersehnten Stand einrichten.
Jetzt war Vitto an der Reihe um den weiteren Weg nach oben zu finden. Ein erneuter Querriss gab ihm die Möglichkeit nach rechts in eine Verschneidung zu gelangen, welcher er dann ohne Probleme bis zu einem großen Absatz folgte. Nun standen wir direkt unter dem steilsten Stück des Pfeilers und besprachen nochmals unser Vorhaben. War es überhaupt möglich direkt über den überhängenden Wasserstreifen hochzukommen? Wir einigten uns darauf es zu versuchen.
“Neolit” = bedeutet so viel wie der “Neue Stein”
Es war kaum zu glauben aber immer wieder fanden wir Löcher vor, die nicht nur das Klettern gut ermöglichten, sondern auch gute Sicherungspunkte waren. An diesem Tag schafften wir noch 15 Meter von dieser Länge bevor wir dann unter dem steilsten Abschnitt Feierabend machten.
Am nächsten Morgen, während dem Zustieg, waren nur noch die restlichen Meter über den Wasserstreifen das Thema. Würden wir diese meistern? Über unsere fixierten Seile stiegen wir schnell auf und tauchten ohne lange Zeit zu verlieren wieder in unser Abendteuer ein. Kaum zu glauben, wie ausgesetzt diese Seillänge ist. In technischer Kletterei schummelte ich mich über die letzten schwierigen Meter bis endlich das Gelände flacher wurde und ein idealer Standplatz auftauchte. Schon während der Erstbegehung dieser Länge wurde mir klar, diese Seillänge wird nicht nur die schwierigste sondern auch das Highlight der Tour, denn sie ist eine Perle der Natur. Auch Vitto war begeistert von dieser Länge und stieg ohne lange Pause die nächste Seillänge vor. Nach zwei weiteren wunderschönen leichteren Seillängen hatten wir es geschafft und wir standen oben.
Frei klettern
Nach einer Woche kamen wir zurück um die zwei schwierigsten Seillängen frei zu versuchen. Mit dem Seil von oben konnten wir die Erste gleich frei klettern und so konzentrierten wir uns auf die Schlüsselseillänge. Bei dieser blieben wir immer in der Mitte stecken. Beide konnten wir keine stabile Lösung finden, bis uns nicht nur die Kraft ausging sondern auch die Haut an unseren Händen „durchgeklettert“ war. So war‘s an diesem Tag vorbei mit dem frei Klettern.
Immer wieder machte uns das Wetter einen Strich durch die Rechnung diese Stelle noch einmal zu versuchen. Kurz bevor wir dann zusammen mit Daniel Tavernini auf unsere China – Expedition starteten, wollte ich noch einen schönen Tag nutzen um auch diese Länge zu entschlüsseln und frei zu klettern. Da Vitto nicht Zeit hatte kam Patrick Seiwald mit. Immer und immer wieder versuchte ich die Züge aneinander zu reihen, aber es wollte nicht funktionieren.
Wir hingen den ganzen Tag in der Wand und es ging nur um diese 4 Meter. Ich hatte zwar keine Lösung, aber bewunderte das Problem. Nach diesem Tag wusste ich, dass ich ich die Tour in diesem Jahr nicht mehr frei klettern würde. Ich war jedoch motiviert den Winter zu nutzen um genau diese Griffe und Züge zu trainieren.
Am 16. April 2015 war es dann soweit, ich wollte wieder die 4 Meter versuchen und schauen ob das Training Früchte getragen hat. Da Vitto als Bergführer unterwegs war, fragte ich Andrea Oberbacher ob er Lust und Zeit hätte das Projekt anzugehen. Ohne zu Zögern und voll motiviert war er sofort dabei.
Und wieder hing ich unter dem ausgesetzten schwarzen Wasserstreifen. Diesmal konnte ich die einzelnen Züge nach einigen Versuchen gleich halten und mir war klar dass, ich jetzt nur noch die Ausdauer brauchte sie zusammenzufügen. Noch an diesem Tag konnte ich die Seillänge das erste Mal im Nachstieg klettern und ich hatte schon mit diesem Erfolg eine wahnsinnige Freude.
Ich gönnte mir einen Tag Pause und wollte dann den Versuch wagen, die gesamte Tour frei klettern. Da jetzt Andrea die Tour auch kannte, genau wusste worauf es ankommt und ich sehr gerne mit ihm unterwegs, war schnell klar, dass er mich wieder begleiten würde.
Zurück in der Wand und angekommen am großen Absatz, ruhten wir uns eine halbe Stunde aus. Immer wieder ging ich die Schlüsselstelle im Kopf durch: Dreifingerloch mit rechts, schlechte Zange mit links, Zweifingerloch mit rechts, Seil einhängen, links kleine Zange, rechten Fuß hoch, Dreifingerloch mit rechts und jetzt mit 100% die 4 schwierigsten Züge. Links abschüssiges Loch, rechts überkreuzen ins Dreifingerloch, links kleines Zweifingerloch kurz halten und voll dynamisch weiter ins gute Zweifingerloch…
Ok, Andrea ich versuch‘s! Am letzten guten Griff angekommen schüttelte ich nochmals die Hände bevor es dann losging. Ich freute mich nur noch diese 4 Meter zu klettern, die mich mehr als ein halbes Jahr in ihren Bann gezogen hatten. Alles ging perfekt bis mir kurz vor dem weitesten Zug am abschüssigen Tritt der Schuh abrutschte und ich ihn nur mit Mühe wieder dort hin bekam. Als ich den Sprung ansetzte dachte ich eigentlich nicht mehr daran dass ich es schaffen könnte das Loch zu erreichen und wartete nur noch auf die Reise nach unten. Aber meine Finger stoppten die spannende Reise und trafen voll das Loch. Ich war kurz erschrocken, da ich nicht mehr daran glaubte es zu schaffen und dachte: „Jetzt die letzten Meter zum Stand nur keinen Fehler machen!“
Als Andrea bei mir ankam streckte er mir seine Hand aus und gratulierte mir zur geglückten Seillänge. Jetzt war es nur noch purer Klettergenuss bis zum Gipfel.
Die Erkenntnis
Drei Tage später wollte auch Vitto die Schlüsselstelle versuchen. Nach einigen misslungenen Versuchen die einzelnen Züge so zu machen, wie ich sie ihm ansagte, suchte er etwas rechts nach einer anderen Lösung und siehe da, er fand eine Leiste und konnte die Stelle umgehen. Während Vitto sich ausruhte, wollte ich mir die Stelle nochmals anschauen um herauszufinden, ob die Route über die rechte Leiste einfacher ist. Schon nach dem ersten Versuch mit der Leiste war mir klar, dass ich mir das Leben schwerer als nötig gemacht hatte und es nicht mehr die Tour war, die ich geklettert bin.
Wenn ich ehrlich bin, hätte ich die Leiste am liebsten runtergeschlagen aber, da es gleich sch…. wär wie einen Kunstgriff zu schlagen respektiere und akzeptiere ich die Natur wie sie ist!
Trotzdem bleibt die Linie eine wundervolle Kletterroute, die ich nur weiter empfehlen kann.
..nach dieser Tour erinnerte ich mich an meine Oma, die leider schon verstorben ist.
Als mein Bruder Manuel und ich mit dem Klettern vor 12 Jahren anfingen und sich langsam der Bizeps vergrößerte, zeigten wir stolz der Oma, die damals über 80 Jahre war, unseren angespannten Oberarm. Sie schaute unbeeindruckt und sagte nur: “Es hilft dir nichts im Oberarm 1.000 Volt zu haben, wenn im Kopf nicht das Licht an geht!”