„Hoassteifl“ (VI-), Gumpalspitzen, Pragser Dolomiten
Erstbegehung der Route "Hoassteifl" © Andrea Wisthaler und Markus Lercher
Andrea Wisthaler gelang mit Markus Lercher an ihrem Geburtstag die Erstbegehung der Route "Hoassteifl" auf den Gumpalspitz in den Pragser Dolomiten. Die Tour führt auf hervorragender Felsqualität entlang von Platten, Rissen und Verschneidungen steil empor.
Im Jahre 2019, Oktober. Markus und Ich sind unterwegs Richtung Hohe Gaisl, in den Pragser Dolomiten. Den ganzen Tag schon begeistert von rotem, brüchigem Gestein, unzähligen alten, rostigen Kriegsrückbleibseln und einer einsam und verlassenen Gegend starren wir wie gelähmt auf die Wand zu unserer Rechten. Keiner sagt etwas, aber ich bin mir sicher, Markus denkt dasselbe wie ich.
Irgendwann im April, 2021. Wir sind auf der letzten Etappe unserer heutigen Skitour – der Umrundung der Hohen Gaisl. Nach der Gaisl Nordrinne, Forcella Colfreddo und Pinscharte müssen wir nun nur mehr über das Ciadin di Croda Rossa bis zum Auto auf der Plätzwiese abfahren. Wir cruisen gemütlich dahin bis wir beide stehenbleiben und wie gelähmt auf die Wand zu unserer linken starren. Sie ist uns bereits bekannt, schon als wir die hohe Gaisl bestiegen haben, ist uns diese Wand ins Auge gestochen. Der Fels sieht bombenfest aus, steil, plattig, wasserzerfressen, griffig und vor allem – jungfräulich. „Do missmo amo in Goedeke schaugn ob do schun epas augnget“, sagt Markus zu mir. Mit dem Gedanke einer Erstbegehung im Hinterkopf, fahren wir nach Hause und fangen an zu recherchieren. Der Berg heißt Gumpalspitz und außer dem Normalweg, welcher über den Nordwestgrat auf den Gipfel führt – finden wir keine anderen Touren.
Wandbild Gumpalspitzen © Andrea Wisthaler und Markus Lercher
Juni, ziemlich genau der 19. Mit den ersten Sonnenstrahlen spazieren wir gemütlich Richtung Stollaalm. Markus hat wieder einmal seinen großen Expeditionsrucksack geliehen und Hammer, Nägel, Bohrhaken, Bohrmaschine, Schraubenschlüssel sorgen zusammen mit der normalen Ausrüstung sprich Friends, Kleidung, Expresschlingen, Karabiner, Notfallausrüstung, Essen&Trinken, Halbseilen usw. für ein „halbwegses“ Gewicht. Die meiste Zeit trägt Markus den Rucksack und ich profitiere vom „Prinzessinen- Bonus“ – ist es doch mein Geburtstags-Wochenende und Teil eines Geschenks. Als wir dann doch mal tauschen tut mir gleich einmal das „Gnagg“ weh, so schwer ist das Ding. Aber egal, nach einer knappen Stunde stehen wir bereits am Wandfuß, wo noch etwas Schnee liegt.
Wir ziehen unser Klettergeschirr an, stopfen alles Notwendige in den Nachsteiger-Rucksack und starren motiviert auf die Wand. Nach kurzer Diskussion und hin- und her überlegen sind wir uns einig, welche Linie wir versuchen möchten. Markus gewinnt bei Schere, Stein, Papier und darf (muss?! ;-)) einsteigen. Zuerst plattig schräg rechts nach oben und über einen gut absicherbaren markanten Riss kraxelt ergeschmeidig hoch, ein Grinsen bis auf die Stockzähne ziert sein Gesicht. In diesem Moment weiß ich „des passt heint“.
Andrea in der ersten Seillänge. Die Linie kann nicht verfehlt werden. © Andrea Wisthaler und Markus Lercher
Anfangs etwas zaghaft, dann allerdings mit Schmackes, schlägt er den ersten Nagel. Siiiinnnng, ertönt das Geräusch in meinem Ohr – es hört sich wirklich gut an. Sobald die Friends und die Seile dem Ende zugehen macht er Stand. Ich steige nach mit gefühlt 50 Kilo auf meinem Rücken und bin sofort begeistert von der Felsqualität. „Des isch jo fost wie Neinaplotte“, rufe ich Ihm zu. Mit dem ganzen Gewicht kommt es mir doch ziemlich anstrengend vor, doch aufgegeben wird nur ein Brief, trotzdem bin ich froh den Rucksack vom Rücken zu nehmen, sobald ich beim Stand bin. Markus nimmt die Bohrmaschine aus dem Rucksack und drückt Sie mir in die Hand. Ich schaue Ihn mit einem zögerlichen Blick, ganz nach dem Motto „Äh i bin a Frau?“ an. Er lacht mich an und sagt: „Bohr la“. Nervöser als bei Matura und Führerscheinprüfung zusammen nehme ich die Bohrmaschine, wähle zwei Punkte in der Wand, frage Markus nochmals sicherheitshalber ob das passen könnte und nach seinem zustimmenden Nicken presse ich die Bohrmaschine mit meiner rechten gegen die Wand während ich mit links einen Griff ziehe um Druck aufbauen zu können – Tim Tayler würde es nicht besser machen. „Porgo desch gorawin strenge“ lächle ich, und puste den Staub aus dem ersten Loch. Die Bohrmaschine, mit einer Reepschnur befestigt, hängt eleganter wie eine Gucci – Handtasche je sein könnte um meine Schulter und sobald ich Sie loslasse, berührt der Bohrstift meinen Unterarm. „Hooooassteeeeeeiifl“ schreie ich auf, reiße den Arm nach oben und berühre mit dem Finger die Stelle, wo ich mich gerade für die Ewigkeit gebrandmarkt habe. Ja, es war teiflisch hoass und das wird mir bestimmt eine Lehre sein. Markus bohrt das zweite Loch, wir verbinden den Stand mit einem Seilstück bis wir zufrieden sind – mit unserem ersten selbst gebohrten Stand.
Wir sortieren das Material um und ich bereite mich vor, die nächste Seillänge vorzusteigen. Ich sehe die ersten paar Meter, eine Rampe welche leicht links nach oben zieht, aber was danach kommt, kann ich nicht wissen. Das Gefühl der Ungewissheit beunruhigt mich nicht, nein im Gegenteil, ich liebe dieses Kribbeln im Bauch und starte höchstmotiviert. Ich kraxle ein paar Meter hoch und bevor es ums Eck zu gehen scheint, lädt ein Riss zu meiner rechten sehr dazu ein, einen Nagel zu schlagen. Ich versuche mich geschickt hinzustellen platziere den Nagel im Riss und schlage oder nennen wir es besser „haitschle“ den Nagel viel zu wenig. Gleichzeitig beherzt zu hämmern und sich nicht selbst aus der Wand zu schlagen ist gar nicht mal so einfach. Mein ganzer Körper ist angespannt und konzentriert. Ich fädle ein Seilstuck durch den Nagel, sobald er meines Erachtens tief genug im Felsspalt sitzt. „Schaug infoll nomo, obo i glab do konnman an Losta drauhäng“ rufe ich Markus stolz zu. In klassischer Wechselführung arbeiten wir uns auf Bombenfels und ohne große böse Überraschungen Seillänge für Seillänge nach oben, immer mit dem Gedanken im Hinterkopf, wo man einen soliden Stand bauen kann, denn die Route soll ja einladend für Wiederholungen sein. Nach der 6. Seillänge stehen wir auf einem Band, über uns eine leicht überhängende Wand – und wir stellen uns die Frage, ob das vielleicht die Schlüsselstelle sein könnte. Die Frage die im Raum stand „drüber oder rundherum? war auch dieses Mal schnell geklärt. „Na do missmo dribo, allan die Froge … Jo logisch probier mo des!“, sagt Markus höchstmotiviert. Kurz die Stelle begutachtet wagt er sich an den Fels. Kaum richtig vom Boden abgehoben bekomme ich schon die ersten Kommentare… „Na, aso gliedig bin i et. I fong mit Yoga un“. Nach einem beherzten Zug, einem passo atletico und einem Aufsteher „af roacha Goggilan“ war die Schlüsselstelle gemeistert. „In Nogl schlogsch noar wo du…“ meinte Markus zu mir, mit einem leicht schelmischen Grinsen. Nach der Schlüsselstelle ging es mit gemäßigter Schwierigkeit ca. 15m weiter. Ein Plateau mit bevorstehendem Gehgelände lag vor uns.
Wir machen eine kurze Pause, checken die Uhrzeit „knopp 2“ und das Wetter… „Er hot schun gimeldn in Nomitto kannt eppas kem“. „Nana des Stuck giamo no augn und schaugns ins no un, noar schiabmo oh“.
Das Seil schnell über die Schulter aufgenommen ging es über Schneefelder und Geröll bis zum nächsten Wandfuß, der uns von der Linie her logisch erschien. Der nächste Stand aus einer Sanduhr und Spit war schnell eingerichtet. „De Voschneidung schaug guit aus, de mochmo no“.
Der erste Teil war relativ flach und steilte zur Verschneidung hin auf, ein Friend wurde platziert und weiter gings… Fingerlöcher auf der linken Seite, abspreizen auf der rechten. Stück für Stück löste sich die Verschneidung in eine wunderschöne Kletterei auf. Nach ca. 50m ertönt von neuem, „Stond“. Oben angekommen brauchte es nicht vieler Worte, der Himmelt schaute finster und böse zu uns herab, Rückzug war angesagt und wir wussten, dass dies besser ZZ, also ziemlich zügig passieren sollte. Der letzte Stand wurde eingerichtet, Material zusammengepackt, eine kurze Umarmung und schon sausen wir über die Wand nach unten. Zu diesem Zeitpunkt wussten wir noch nicht, dass wir die komplette Route an 1 Tag geschafft hatten.
Die Stände hatten wir zum Glück bereits alle im Aufstieg eingerichtet, was den Rückzug wesentlich erleichterte und beschleunigte. Am Einstieg angekommen, packten wir den Rest zusammen „iatz megmo ins zapfn, sischt kannt mo wo onständig noss wearn“. Keine 10 Minuten auf dem Weg, hörten wir bereits das erste Donnergrollen hinter uns. Der Schritt wurde schneller und schneller und auch mit leichtem Joggen war bei der Stolla Alm dann Schluss mit Trockenübungen. In strömenden Regen ging es dann noch die letzten Meter zur Plätzwiesenhütte wo von weitem bereits die „ALMBEATS“ zu hören waren.
Kurz den Rucksack im trockenen abgestellt, erblickte ich einen, nein zwei, drei, vier… Freunde von mir… „Wos titen des do?“. „Jo hoi Andy, olls olls Guite zin Giburtstog“. Ich war kurzerhand sprachlos und unendlich glücklich über die mehr als gelungene Überraschung – unsere erste gemeinsame Erstbegehung und ein perfekter Abschluss mit einem anständigen Feira mit Freunden.
Resumè 19.06.2021:
➔ Einrichten einer eigenen Tour (8 SL VI-) o Zustieg 1h
o 8 SL VI – mit mobilen Sicherungen + Nägel o Stände einrichten
o Rückzug (Wetterbedingt)
➔ Geburtstagsüberraschung „ALMBEATS“ with Friends
Wir hatten viel zu feiern und bis zum Schluss war es nicht mehr der Regen warum wir alle dann FeuchtFröhlich unterwegs waren.
Wir wünschen allen gleich viel Spaß beim Wiederholen, wie wir beim Eröffnen hatten.
Text: Andrea Wisthaler & Markus Lercher
Routeninformationen
Erstbegeher: Andrea Wisthaler am 19.06.2021
Schwierigkeit: VI- , die Schlüsselstelle kann weiter links umklettert werden (keine Sicherungen vorhanden).
Zustieg: Von der Plätzwiese auf Steig Nr. 3 Richtung Stollaalm. Kurz danach links zwischen Latschenkiefern in ein breites Kar (Cadin di Croda Rossa). Rechts ist die Gumpalspitz bereits sichtlich, weglos zum Einstieg bei Granate (1h 15)
Beschreibung: Abwechslungsreiche Kletterei in einsamer Umgebung und bombenfels.
Der Gipfel belohnt mit eindrücklichem Blick auf die Hohe Gaisl.
Absicherung: Stände mit 2 Bohrhaken und zum Abseilen eingerichtet – Rest mit Normalhaken. Die ersten 2 Seillängen sind gut mit Friends absicherbar.
Länge: 210m / 8 Seillängen
Ausrichtung: Ost
Material: NAA, 50m Seil, 6 Expressen, 1 Satz Friends, Schlingen
Abstieg: abseilen über die Route, oder über Normalweg absteigen und 3x abseilen.