ALPINIST: Vergessene Kletterrouten im Rosengarten
Mit einem großen Hakensortiment, Friends und Klemmkeilen gings in die wilden Wände des Rosengartens. Viele alpine Klassiker scheinen, als wären sie in einem Dornröschenschlaf. Diese Routen waren Ziel der jungen Alpinisten.
Einleitende Worte von Johannes Egger
Man kann viel und gerne über den Sinn und Unsinn von Bohrhaken streiten. Was man vielleicht manchmal vergisst, auch ein gut gesetzter Haken ist sicher! Am Anfang jeder Alpinsaison hänge ich des Öfteren an 2 Rostgurken und sinniere über das Sicherheitsgefühl, welches sie ausstrahlen, meistens ist es kein gutes. Erst im laufe der Saison steigt dann das Vertrauen, bis irgendwann eine Lethargie eintritt, und man fast schon grenzenloses Vertrauen in das historisch verbaute Material aufbaut. Dabei fluche ich des Öfteren über meine eigene Ignoranz, den Hammer wieder zuhause gelassen zu haben, weil er ja so schwer ist. Das Problem ist wie immer nicht das Umfeld, sondern das eigene Unvermögen.
Manchmal verirrt sich der, dann erstaunlicherweise doch nicht so schwere, Hammer in meinen Rucksack und mit einem Nagel und wuchtigen Schlägen wird der Stand zu einem wohligen Rückzugsort wo man kurz die Anspannung vergessen kann und dem Freund beim Vorsteigen ermunternde Worte zurufen kann.
Der Rosengarten ist seit jeher eine wildere Ecke und bis auf einige wenige Touren, schlummern viele Schätze weitgehend unbekannt ihren Dornröschenschlaf vor sich hin. Manchmal passiert es dann doch, dass ein im Übereifer gesetzter Bohrhaken, eine alte Linie verunstaltet. Mag es im Unwissen sein oder aus Gleichgültigkeit, so stellt sich doch die Frage, wieso gerade wir Jungen uns nie die Zeit nehmen, statt immer etwas Neues zu machen, das Alte zu schätzen und zu pflegen.
Solche Gedanken beschäftigten mich heuer in der Coronazeit und zusammen mit den eingeschränkten Reisemöglichkeiten reifte ein kleiner Plan. Das Alpinist Projekt schien der ideale Pool, um als AVS auch mal wieder dem Bergsteigen etwas mehr Augenmerk zu geben und jungen, motivierten Kletterern einen Denkanstoß zu geben. Zum Glück arbeiten im Projekt einige der besten jungen Alpinisten als Bergführer mit und unter Ihrem wachsamen Auge wurde so mancher alte Nagel ausgetauscht, ohne dabei den Charakter der jeweiligen Touren zu beeinflussen.
Patrick Tirler berichtet wie er das Wochenende am Rosengarten erlebt hat
Als ich Mitte Juni einen Anruf von Stefan, einem der treibenden Kräfte des Projekt Alpinist, bekam und gefragt wurde, ob ich Lust hätte zusammen mit anderen starken Kletterern einige vergessene Routen am Rosengarten wiederzubeleben, war ich sofort motiviert: Alte, vergessene Alpintouren klingt nach wilden Abenteuern und das Projekt Alpinist ist immer eine gute Möglichkeit, neue Seilpartner kennenzulernen.
So kam es, dass sich an einem Freitagmorgen im September neun junge Alpinisten am Parkplatz des Paolina-Lifts trafen. Wie Kinder zu Weihnachten stürzten wir uns auf die Nägel, die uns der AVS für das Wochenende zur Verfügung stellte. Schnell noch die Routen aussuchen, einen neuen Hammer am Asphalt des Parkplatzes testen und dann saßen wir auf schon auf dem Sessellift zur Paolina-Hütte. Für den ersten Tag mussten wir uns noch etwas bremsen, da wir abends noch zur Bergler-Hütte aufsteigen und nicht gleich das ganze Pulver auf einmal verschießen sollten. Zwei Dreierseilschaften starteten zur Westwand der Rotwand und stiegen die „Dibona“ sowie die „Eisenstecken“ ein. Martin, Jovi und ich hingegen nahmen den etwas längeren Zustieg zur Mugoni Südwand in Kauf, um die dortige „Eisenstecken“ zu versuchen. Highlight des Tages war der überhängende, mit VI bewertete Kamin in der fünften Seillänge, der Martin und mir großen Spaß bereitete.
© Martin Dejori
Jovi, der sich auf kleinen Leisten wohler fühlt, war da anderer Meinung und hatte noch in der folgenden Nacht mit Albträumen zu kämpfen. Kurz bevor die äußerst gewagte Linie, die von Otto Eisenstecken und Gefährten im Jahre 1946 erstbegangen worden war, in eine Sackgasse zu enden scheint, quert eine Hakenleiter über eine exponierte Platte nach rechts und löst die Schwierigkeiten auf. Etwa 3 Meter unterhalb der Originallinie und somit außerhalb der Reichweite zu den Haken ist die Schwierigkeit mit VIII- angegeben. Ich versuchte mich an der direkten Variante über die kompakte Platte und musste schlussendlich jedoch den Freiklettergedanke aufgeben und in die Techno-Trickkiste greifen. Beim Abstieg träumte Martin schon davon, während der Liftfahrt die Beine baumeln lassen zu können. So dauerte es nicht lange, bis wir wieder alle zusammen auf dem Parkplatz die restlichen Nägel in die Rucksäcke schaufelten. Inzwischen ist Johannes mit einem riesigen Rucksack zu uns dazu gestoßen, um uns anschließend den anstrengenden Zustieg zur Bergler-Hütte hochzujagen. Von ihm stammte die Idee der Aktion und ihm war zusammen mit Manuel und Max zu verdanken, dass sich auf der Hütte bereits genügend Wasser und Lebensmittel befanden.
In der Hoffnung am nächsten Tag mehr Nägel versenken zu müssen, fiel die Routenwahl für den Samstag auf deutlich weniger begangene Routen. Die zwei Puschtra Gabriel und Manuel einigten sich mit Martin auf die „Rosalpina“, welche im Führer als unwiederholt gilt. Manuel und Max aus Tiers entschieden sich zusammen mit Bergführer Thomas für die „Craxi bis Crack“. Alex und ich hingegen überzeugten Jovi für die „Sebastiankante“. Johannes hingegen räumte noch die Hütte auf und wartete auf Stefan, der direkt vom Meerurlaub zu uns nachkam. Das Wetter war, bis auf einer Nebeldecke im Tal, wunderschön und sollte den ganzen Tag so bleiben. Jovi jedoch hatte wohl nicht seinen besten Tag erwischt und musste sich in der zweiten Seillänge dafür entscheiden abzuseilen und sich Stefan und Johannes anzuschließen.
Alex und ich kletterten auf dem erstaunlich guten Fels weiter bis zur Schlüssellänge. Alex wollte schon zur leichteren Umgehungsvariante ansetzen und sich damit vor den überhängenden Hand-Riss drücken, als ich ihn mit einem herausfordernden Kommentar zurück in die logische Linie schickte. Als ich anschließend mit beiden Händen und einem Rucksack auf dem Rücken im Riss festklemmte, bereute ich mein blödes Gerede sofort. Doch irgendwie schafften wir es bis auf dem vorgelagerten Pfeiler, auf dem die Route endet. Für eine Rückkehr war es noch zu früh, daher entschieden wir uns kurzerhand auf der Hinterseite einmal abzuseilen und dann über einer dreckigen und nassen Verschneidung zum Gipfel zu klettern. Auf der Santnerpass–Hütte trafen wir auf die Restlichen der Gruppe. Beim Anblick von Manuels blutigen Knien und zerrissenen Hosen konnte man glauben, er sei dem königlichen Schwert von König Laurin in die Quere gekommen. Schlussendlich stellte sich heraus, dass ihre Route („Craxi bis Crack“) vollen Körpereinsatz verlangte. Beim Abstieg ärgerte sich Martin noch über die unnötigen Bohrhaken und der Linienkollision von der benachbarten Sportkletterroute und so erreichten wir schnell wieder den Einstieg. Inzwischen hat sich die Wand in einem märchenhaften rötlichen Licht verwandelt und schenkte uns einige Inspirationen für den nächsten Tag.
© Martin Dejori
Leider verließen uns die drei fitten Alpinisten aus dem Pustertal schon an diesem Abend und auch Manuel flog am nächsten Morgen mit seinem Paraglider nach Hause. So blieben wir nur noch zu siebt.
Martin und Max setzten sich für den Sonntag die für ihre Wildheit bekannte Hasse-Schrott auf dem Delagoturm zum Ziel. Mit den restlichen Normalhaken wollten sie den berüchtigten Vorbau für etwaige Nachfolger etwas entschärfen, was ihnen dann auch gelang.
© Martin Dejori
Stefan wurde von Alex und Johannes zum Klassiker „Similde“ überredet und ich konnte Thomas motivieren, die „Lomberda“ zu probieren. Schon die erste Länge der total unbekannten 4-Seillängen-Route stellte sich als wunderschöne Plattenkletterei auf Fingerlöchern und Leisten im besten Dolomit heraus.
Die zweite Seillänge ist mindestens genauso schön und aufgrund der relativ weiten Hakenabstände zwingend frei zu klettern. Nach einem 10m-Sturz ins Seil startete ich einen zweiten Versuch vom Stand weg, doch auch dieser war nicht genug für eine freie Begehung. So kletterten wir mit einem weiteren offenen Projekt im Hinterkopf weiter und querten zur Headwall der Laurinswand.
© Martin Dejori
Dort stiegen wir unter direkter Beobachtung unserer Freunde, die bereits auf der Santnerpasshütte ihren Strudel genossen, in die „Marco dal Bianco – Führe“ ein und erreichten nach weiteren vier Seillängen einen Stand mit einem alten Wandbuch. Die Freude war groß, als wir sahen, dass der letzte Eintrag schon über 50 Jahre her ist. Kurze Zeit später saßen wir alle zusammen bei der Hütte und tauschten unsere Erlebnisse bei einem leckeren Apfelstrudel aus. Glücklich und zufrieden können wir auf drei schöne und abenteuerliche Tage zurückblicken und freuen uns schon auf die nächste Aktion mit dem Projekt Alpinist.
© Martin Dejori
Mit freundlicher Unterstützung von
Assi Broker International, Panorama Diffusion, Skylotec, Vaude, Meindl