ALPINIST: Skihochtour Aosta
Die fünftägige Skihochtour führte in diesem Jahr ins Aostatal und bot vielfältige Herausforderungen, begleitet von den erfahrenen Bergführern und Mentoren Mark und Lukas. Am 17. April brach die Gruppe in Richtung Sarre auf. Trotz durchwachsener Wettervorhersagen konnte die Gruppe das Beste daraus machen. In einem ausführlichen und amüsanten Bericht schildert Thomas Oberrauch die Tourentage und geht dabei tiefgehend auf den Einsatz von Technologie im Bergsport ein.
„Es gibt keine Instanz, die verhindern kann, dass eine bestimmte Innovation stattfindet“
Sagt Günther Schmudlach, Erfinder und Entwickler von Skitourenguru, der neuesten Innovation hinsichtlich Tourenplanung und Digitalisierung in den Bergen. Darum ging es vielfach auch in den Gesprächen während unserer fünftägigen Skihochtourenwoche im Aostatal. Doch dazu später mehr. Die Teilnehmeranzahl entsprach den Tourentagen, begleitet von Mark und Lukas als Bergführer. Los ging es für uns am Mittwoch, den 17. April. Es würde wie befürchtet die längste Nacht der kommenden Tage gewesen sein. Über die Autobahn ging es recht reibungslos bis nach Sarre, einem urigen Dorf knapp über der Provinzhauptstadt Aosta. Abgesehen einmal vom Halt an der Raststätte, während dem wir unsere Entscheidung zum Skitouren und nicht zum Klettern bei Kaffe in der Hand und Sonne im Gesicht noch einmal überdachten. Auf der steilen und schmalen Straße zum Ferienhaus, der „Casa Alpina“, kam der Kurvenradius des Alpenvereinsbusses schon gleich an seine Grenzen. Nach Auspacken und Umschauen fuhren wir in die Stadt und gingen zum Kulturteil über. Dass dieser nach einem recht knappen Stadtspaziergang in Veneziano auf dem Dorfplatz endete, war wohl unausweichlich. Dann noch Einkaufen und zurück in die Unterkunft. Dort brüteten wir dann erstmal über den Karten des gesamten Aostatales. Die Wettergötter sind den Skitour-Aktionen des Projektes ALPINIST ja bekanntlich nicht sehr freundlich gestimmt und so hatten wir auch dieses Jahr eine Großwetterlage mit Schlechtwetter entlang des Hauptkammes, den Grenzen zur Schweiz und Frankreich. Genau aus diesen Befürchtungen hatten wir kein Programm gemacht und eine zentrale Unterkunft im Tal gebucht. Nach dem Studieren endloser Wettervorhersagen und Lawinenbulletins hatten wir den Plan gefasst, das Wetterfenster zu nutzen und am Donnerstag im Cogne auf den Rifugio Vittorio Sella zu gehen. Um dann von dort am Freitag bei hoffentlich gutem Wetter auf die Punta Rossa und die Punta Nera della Grivola zu kommen. Sollten wir nur noch in der Hütte Platz finden, was nach einem kurzen Telefonat auch geklärt war. Also Rucksäcke packen und noch einige Stunden schlafen – ach ja und Abendessen nicht vergessen.
Um 8:15 Uhr standen wir dann schon mit Sack und Pack auf dem Parkplatz im 40 Minuten entfernten Valnontey im Cogne-Tal. Von dort ging es erstmal mit den Skiern am Rucksack knapp Fünfhundert Höhenmeter schneefrei, vorbei an etlichen Gämsen und Steinböcken, hinauf Richtung Rifugio Sella, während sich die Wolken mehr und mehr verdichteten. Als wir dann im Rifugio angekommen waren, hatte es schon angefangen leicht zu schneien. Die Prognosen hatten sich also bestätigt – wenn sich das fortsetzen würde, könnten wir am Nachmittag wieder mit Sonne rechnen. Vorerst aber Tee und Kaffe auf der zurzeit noch (fast) menschenleeren Hütte. Wie erwartet lichteten sich die Wolken dann gegen Mittag und wir schnallten uns erneut die Skier um, um auf die nahegelegene Cresta del Tuf zu gehen. Der Gipfel belohnte uns zwar nicht mit einem Kreuz, grandioser Aussicht oder einer Bar, jedoch mit einem sonnigen Pulverhang, der uns schon an Tag 2 auf unsere Kosten kommen ließ. Die Abfahrt führte uns dann direkt in die Stube des Rifugios, hin zum kalten Bier. Während die einen schon wieder die Wattkarten flattern ließen, legte sich der Rest der Truppe vor dem Abendessen noch ein wenig ins Bett. Später besprachen wir noch einmal die Route für morgen und kamen darüber ins Gespräch, dass das Smartphone beim Skitouren (wie bei so vielem) der erste Anlaufpunkt geworden ist. Auf der Hütte die Fatmap Karte, im Gelände statt Augen auf, AV-Aktiv auf, die Position bestimmen lassen und per Kompass ausrichten. Können wir mit konventionellen Mitteln überhaupt noch verlässlich umgehen? Und wenn ja, stellt dies ein Problem dar? Sind Handy, Internet und GPS ein Hilfsmittel oder tragen sie dazu bei, dass wir ausschlaggebende Fähigkeiten verlernen und wir ohne sie verloren sind? Laut Reinhold Messner entziehen technische Hilfsmittel dem Bergsteigen die Grundlage. Wie viel Hilfe ist also erlaubt? Alles wichtige Fragen, die wir aber hier nicht beantworten wollen. Wer mehr darüber lesen (und vielleicht auch nachdenken) möchte, kann Franziska Haacks Interview mit Günter Schmudlach auf der Website des bergundsteigen Magazins lesen.
Am nächsten Tag jedenfalls brachen wir (nach Frühstück) zeitig auf zu unseren beiden Zielen heute. Auf der Altschneedecke lag ein wenig Neuschnee, der uns das Vergnügen des Spurenlegens bescherte, das man in den Westalpen ja selten hat. „Da freut man sich auf Westalpen-Autobahn und dann muss man spuren…“ Die Temperaturen waren wieder recht winterlich, genauso wie die Schneelage, und wir freuten uns über jeden Sonnenstrahl. Nach einiger Zeit waren wir auch schon an der Rinne angekommen, die uns auf den Grat und somit zum Gipfel bringen sollte. Die Bereitschaft Steigeisen anzuziehen war deutlich höher als die, Harscheisen anzuziehen – lustig, wo doch beides als Eisen bezeichnet wird. Einmal am Grat angelangt pfiff uns der Wind wild um die Ohren und, leichtgewichtig wie wir sind, mussten wir aufpassen nicht verweht zu werden. Der Gipfelaufenthalt auf der Punta Nera
wurde den Windverhältnissen entsprechend sehr kurz, kurz darauf standen wir wieder im windstillen Becken des Ghiacciaio del Trayo. Von dort ging es nun auf die Punta Rossa della Grivola, fehlten uns nur noch die Punta Biancha und die Grivola selbst. Die wollten wir uns jedoch für ein andermal aufsparen. Auch am zweiten Gipfel ließen wir das Picknick aus und fuhren/stiegen ab zu „einer der längsten realisierbaren Skiabfahrten im Aostatal“. Im Skitourenführer wäre da noch hinzuzufügen „wenn Schnee bis ins Tal liegt“ – die letzten 500 Tiefenmeter waren ein Vorgeschmack auf die bevorstehende Wandersaison. Wie so üblich bei Überschreitungen gab es eine deutliche Diskrepanz zwischen der Position, an der wir unser Auto gern gehabt hätten, und der, an der es sich tatsächlich befand. Also spazierten wir von Cretaz nach Cogne und während Mark das Vergnügen hatte sich per Anhalter zum Auto bringen zu lassen, mussten wir anderen uns dazu herablassen das dorfeigene Bier in der zugehörigen Bar zu verkosten. Zum Glück aller beteiligten nahm ihn niemand mit, sodass er uns kurz darauf Gesellschaft leistete und erst eine Stunde darauf mit dem Bus das Auto holen konnte.
Unserem bisherigen Trend folgend hatten wir auch an diesem Tag wieder Schwierigkeiten, uns für eine Tour für den nächsten Tag zu entscheiden. Das Wetter war unsicher und die Möglichkeiten zahlreich. Also kontemplierten wir wieder gefühlte Stunden über Karten, Wetterberichten und Skitourenführern, um uns dann für die Testa del Rutor zu entscheiden. Die Skitourenguru Risikoskala war einverstanden. Am Abend gab es dann Pizza in der wohl einheimischsten Pizzeria des Dorfes, die nicht nur sehr gemütlich war, sondern deren Betreiber sich auch noch erstaunlich gut im Pustertal auskannten. So schnell konnten wir Pizzaiolo nichteinmal buchstabieren da stand die Pizza schon auf dem Tisch, schmeckte vorzüglich und machte uns müde für die kurze Nacht bis zum Aufbruch in aller Hergottsfrühe.
Um 6:00 Uhr saßen wir dann im Bus im winterlich verschneiten Bonne, nachts hatte es ca. 10 cm Neuschnee gegeben. Wir trauten uns nicht in die eisige Morgenkälte und diskutierten darüber, wohin wir nun aufbrechen sollten. Es war stark bewölkt und wir mussten uns entscheiden ob wir auf Plan B ausweichen wollten oder uns an Plan A halten sollten. Schließlich sind wir dann doch die geplante Route angegangen, der Neuschnee und der Nebel weckten in uns jedoch keine allzu großen Hoffnungen auf eine Besteigung des Rutors. An der letzten Möglichkeit auf unserer Route auf einen anderen Gipfel auszuweichen, entschieden wir uns gemeinsam dafür umzudisponieren. Getrieben nur davon, dass der Rutor nicht ansatzweise zu sehen war und sicher nicht davon, dass wir an den zwei vorangegangenen Tagen schon 3100 hm gemacht hatten. Doch das Wetter ließ
uns nicht einmal auf den Mont de l’Arp Vieille und so mussten wir nach „gerade einmal“ 1000 hm und knapp 100 m unter dem (Ersatz-)Gipfel umdrehen. Die Abfahrt in lockerem, jedoch schlecht sichtbaren, Pulverschnee war dann doch eine Genugtuung und so waren wir nicht allzu bedrückt über das nicht-Erreichen unseres Zieles. Dafür hatten wir dann schön lange Zeit uns ein dreigängiges Mittagsmenü zu zaubern und am Nachmittag, bei schönstem Sonnenschein im Tal, einen Berg für unseren letzten Tag auszusuchen. Auch das bedurfte wieder einiges an Diskussionen. Wir einigten uns nach schier ewigem Hin und Her auf die Becca di Nona, einen Berg, der majestätisch über dem Aosta empor ragt. Da er so greifbar schien dachten wir es wäre ein gutes Ziel für unseren letzten Tag, an dem alle müde und die Heimfahrt noch lang sein würde. Aber dabei hatten wir uns geirrt. Wovon wir natürlich nichts wussten und uns so in unserem neuen Stammlokal, der Pizzeria Pizza & Love, erneut die Mägen vollschlugen.
Um 6:00 Uhr saßen wir dann im Bus im winterlich verschneiten Bonne, nachts hatte es ca. 10 cm Neuschnee gegeben. Wir trauten uns nicht in die eisige Morgenkälte und diskutierten darüber, wohin wir nun aufbrechen sollten. Es war stark bewölkt und wir mussten uns entscheiden ob wir auf Plan B ausweichen wollten oder uns an Plan A halten sollten. Schließlich sind wir dann doch die geplante Route angegangen, der Neuschnee und der Nebel weckten in uns jedoch keine allzu großen Hoffnungen auf eine Besteigung des Rutors. An der letzten Möglichkeit auf unserer Route auf einen anderen Gipfel auszuweichen, entschieden wir uns gemeinsam dafür umzudisponieren. Getrieben nur davon, dass der Rutor nicht ansatzweise zu sehen war und sicher nicht davon, dass wir an den zwei vorangegangenen Tagen schon 3100 hm gemacht hatten. Doch das Wetter ließ
Der Irrtum in unserer Planung materialisierte sich schon bei der Fahrt zum Ausgangspunkt. Obwohl Strecken- und vor allem Luftlinienmäßig der am nächsten gelegen Ausgangspunkt, schien die kurvenreiche Straße dorthin fast endlos. Endlich am Parkplatz würde nun aber alles nichts mehr nützen und wir stiegen auf die Skier, mit dem Ausblick auf eine kurze und schöne Skitour als Abschluss. Aber auch die ersten Höhenmeter waren nicht grandios, wenn auch mit Skiern an den Füßen, dank anfänglicher Piste. Diese brachte uns dann allerdings zu einer Querung sondergleichen. Die zwei Kilometer Umweg waren zwar mit weniger Höhenmetern verbunden als die „Direttissima“, bestraft wurden wir aber mit Höllenqualen in Form von Knöchelschmerzen. Entsprechend hoch (oder eben nicht) war dann die Motivation, als wir nach knapp 1:45 h in einem Almkessel standen mit dem Gefühl, noch keine 400 Höhenmeter gemacht zu haben. Denn es waren erst 300 gewesen… Am Tiefpunkt der Gefühle angekommen quälten wir uns dann eben doch in Richtung Gipfel während die Schneequalität überraschenderweise ständig zunahm. Das legte nun wiederum einen Schalter um und so spurten wir wenig später quietschfidel durch 20 cm lockeren Pulverschnees. Während vor uns ein wunderbarer, unverspurter, Gipfelhang lag und die Qualen von vorhin waren schnell vergessen. Der Gipfel belohnte uns dann mit einer wunderbaren Aussicht, die Becca di Nona ist wohl einer der besten Aussichtsberge des Tales, und der Muttergottes in Steinform. Der flüsterten wir, dem Wochentag angemessen, schnell ein paar Gebete zu. Aufgrund der sich verdunkelnden Wolken, aufsteigenden Skitourengehern und der nicht allzu rosigen Aussicht auf einen Gegenanstieg hielten wir uns nicht allzu lange auf und flitzten schneller als der Wind wieder nach unten. Es war ja auch windstill. Der Gegenanstieg erwies sich dann immerhin als die bessere Entscheidung zur Querung, im Nachhinein war das dann leicht zu sagen. Alle waren nun ganz still,
konzentriert darauf, keine Schwäche zu zeigen – schließlich waren wir hier auf Skitour und nicht auf der Kurprommenade. Dass diese Tour schlussendlich die längste und auch zehrendste gewesen war, damit hatte niemand gerechnet.
Am Auto angelangt gab es für den ein oder anderen dann erstmal Ibuprofen, darüber müssen wir jetzt nicht sprechen, danach machten wir uns schon auf den Weg ins schöne Südtirol, der Schweiz oder Österreich. Ja, die Auswanderung hat auch vor uns jungen Alpinisten nicht Halt gemacht. Im Auto träumten die einen dann von Mamas Gulaschsuppe und die anderen vom Voltaren-Schaumbad.
Das wichtigste bei einer solchen Unternehmung bleibt letztlich die Flexibilität. Wir hatten uns nicht auf irgendwelche Gipfel festgesetzt und konnten das Wetter somit am besten nutzen. Und der riesige Vorteil bei Skitouren abseits vom Rummel der Viertausender, ist genau das. Das Gefühl, selbst am Berg zu sein und auf sich alleingestellt zu sein, auch als Gruppe. Schlussendlich ist es das, was den Bergsport ausmacht; keine GPS Aufzeichnung, kein Schwierigkeitsgrad, keine Selfies, sondern das Gefühl was man selbst dabei hat und was es in einem selbst hinterlässt.
https://www.bergundsteigen.com/artikel/das-problem-ist-nicht-die-digitalisierung-sondern- der-mensch/