ALPINIST: Skidurchquerung in den Alpen
„Erreichen wollt ich nichts.
Es war der Weg mein Ziel.
Jetzt sind die Füße wund,
Es war des Wegs zuviel…“
– Henry Hoek-
Wir sitzen erwartungslos im Café in St. Johann. Das Wetter ist miserabel und es sieht für die nächsten Tage nicht nach Besserung aus. Skiduerquerung ist bei diesen Bedingungen einfach nicht drin. Eine Alternative muss her. Wir sechs Teilnehmer, drei Jungs und drei Mädels, einigen uns mit unseren zwei Bergführern darauf vorerst eine Tagestour zu unternehmen.
Tag 1:
Mit dem Auto geht es nach Weissenbach und dann Richtung Henne. Einmal über der Waldgrenze reißt der Himmel gen Süden plötzlich auf und es offenbart sich der tiefverschneite Almboden. Auf dem Weg zum Gipfel üben wir Spurenlegung und lernen Gefahrenzonen im Gelände zu erkennen. Am Gipfel hält es keiner für notwendig ein Selfie zu machen, angesichts der extremen Windböen.
Eine grandiose Abfahrt in teilweise schwierigen Bedingungen führt uns nach kurzem Zwischenstopp auf der Pircheralm zur Lawinenübung unter der Innerhoferalm. Im Tal angekommen sind wir zwar froh über eine gelungene Skitour, haben aber noch keine Unterkunft für die Nacht. Diese wird schnell organisiert und wir checken daraufhin in der Pension Trojer in Sand in Taufers ein. Auf der Fahrt dorthin wird uns schon ganz warm wenn wir daran denken dass wir nun, anders als angenommen im kalten Winterraum der Berliner Hütte, in der heiße Sauna des Hotels hocken werden.
Tag 2
Gestern haben wir uns darauf geeinigt heute ins Prettau zu fahren. Bei tiefwinterlichen Bedingungen starten wir vom Parkplatz aus direkt mit den Skiern auf das Merbjoch. Im Wald sind keine Spuren mehr – oder noch keine – zu erkennen, je weiter wir aufsteigen, desto höher liegt der Neuschnee. So gut das auch klingen mag, der Nebel liegt schwer im Tal und die Sicht ist schlecht. So entschließen wir kurzerhand einige hundert Höhenmeter unterhalb des Jochs die Nase talwärts zu drehen. Die Abfahrt ist dann zwar schwierig wegen der Sichtverhältnisse aber im traumhaften Pulverschnee. Neben all dem Gelernten über Schnee und Lawinen protzen die Latein-affinen unter uns noch mit der Identifizierung aller möglichen Gewächse, so zum Beispiel der Alnus Alnubetula aka der Grün-Erle, die, wie wir nun wissen dank ihrer biegsamen Äste, besonders in Lawinenkegeln heimisch ist. Was bleibt uns da anderes übrig als alles zu glauben was wir aufgetischt bekommen?
Der Schein einer stabilen Schneedecke trügt allerdings: sowohl gestern als heute haben wir unter dem etwa 10 cm dicken Harschdeckel das Altschneeproblem erkennen können, das dieses Jahr so präsent war. Je näher am Grund desto weicher und vor allem nasser war der Schnee. Die dadurch entstandenen Altschneelawinen waren unter der Neuschneedecke noch deutlich zu erkennen.
Wir beschließen gemeinsam, mit Blick auf Karten und Wetterprognosen, morgen die Skier auf die Dreieckspitze zu setzen. Auch wenn die Temperaturen wärmer werden sollen so wollen wir es doch versuchen und notfalls wieder umkehren.
Ausklingen lassen wir den Tag wiederum in der Sauna mit Kneippeinheit in der gegenüberliegenden Ahr.
Tag 3
Das ausgiebige Frühstück im Hotel lässt uns auf der Fahrt noch etwas müde zurück, spätestens in Rein in Taufers holt uns die Realität jedoch ein. Wir sind schließlich auf Skitour unterwegs. Also Schuhe an, Jacke zu, LVS ein und losstarten. Doch sogleich erkennen wir das Problem. Über Nacht hat es geregnet und dies anscheinend bis auf hohe Lagen. Der Schnee ist also alles andere als leicht und fluffig. Und auch auf dem Forstweg zu Knuttenalm haben wir zur rechten immer wieder Altschneelawinen.
Nach kurzer Besprechung und Lagebericht beschließen wir den Anstieg von der Knuttenalm entlang des Nockbaches zu wagen. Als wir aber nach der ersten kurzen steilen Passage über einen Boden zur nächsten kommen erkennen wir dass es wohl sicherer wäre hier Halt zu machen. Der Himmel zieht von Süden her immer weiter zu und die Schneebedingungen sind auch nicht besser geworden. Der angebrochene Tag eignet sich gut um einen gründlicheren Blick in die Schneedecke zu werfen.
Die vielen fleißigen Hände haben rasch ein tiefes Loch gegraben aber auch in einer Tiefe von 1,70 m liegt bis zum Grund noch fast ein Meter Schnee. Felix und Lukas, unsere beiden Bergführer, führen einen sogenannten ECT durch (Extended Column Test) der uns viele Informationen über die Schneedecke gibt. Man kann erkennen, dass das Altschneeproblem hier bedeutend kleiner ist – also die Schneedecke mit zunehmender Tiefe härter wird. Vom ECT wissen wir, dass die oberen Schichten stabil sind und keine deutliche Schwachschicht besteht. Auch zu sagen ist aber, dass der ECT in anderen Hängen anderer Exposition immer weniger aussagekräftig wird. Für uns reicht es aber guten Gewissen abfahren zu können.
Nach der doch erstaunlich tollen Abfahrt machen wir in einer Lichtung inmitten der Latschen halt. Währenddessen reißt die Wolkendecke auf und es wird richtig warm. Bei Nebel und Sturm kann einem schon passieren dass man nirgends mehr hin kommt. In solchen Fällen hilft ein Notbiwak. Damit man davon aber nicht nur einen Namen sondern auch ein Bild im Kopf hat, bauen wir jetzt eines. Dazu: Rucksäcke in einen Biwaksack, einen Haufen Schnee darüber, diesen festsitzen lassen und dann über einen Kältegraben zu den Rucksäcken graben, welche man wieder rauszieht. Anschließend innen den Schnee glätten, Luftlöcher hinzufügen und fertig. Wie beim Graben im Lawinenkegel mit mehreren Leuten ist hier Organisation das Stichwort. Niemand sollte nur rumstehen aber es sollte sich auch niemand überlasten. Unser Notbiwak bietet Platz für ein bis zwei Personen und war innerhalb einer halben Stunde zur Gänze fertig.
Am Nachmittag in der Pension kochen wir uns gemeinsam ein Porridge auf der Kochplatte im Zimmer und essen im Sonnenschein auf dem Balkon bevor es – wie könnte es anders sein – wieder in die Sauna geht.
Tag 4
Auschecken aus dem Hotel und dann nach Großklausen. Mit dem Auto einige Höhenmeter zurückgelegt und einmal ausgestiegen wird klar: Skitour ist heute nicht mehr drin. Die Luft ist warm und feucht, der Nebel hängt tief und der Schnee ist schrecklich. Wir entschließen uns also neben dem Auto in einem Hang Seiltechnik zu üben. Wir lernen alles über die Anseiltechnik am Gletscher bis hin zur Kameradenrettung aus Spalten.
Da es zwar interessant ist, trotzdem ungemütlich begeben wir uns kurzerhand an die Kletterwände der Pursteinwand. Es ist hier schon deutlich bequemer, im Waldhang blühen bereits die Leberblümchen und der Nebel liegt weit über uns. Während die einen nochmals die Spaltenbergung durchspielen lernen die anderen Selbstrettung via Brusik und Seilklemme.
Als Abschluss gibt es in Bruneck ein Eis, nach einer Woche im Schnee nicht gerade naheliegend doch der Kontrast zwischen heiß und kalt hat diese Tage auch irgendwie definiert.
Nun waren wir zwar nicht auf Skidurchquerung, gelernt haben wir aber sehr viel, wahrscheinlich mehr als auf einer Durchquerung. Man muss sich eben den Bedingungen anpassen und das Beste daraus machen. Genau das galt es den Bergführern auch zu vermitteln und genau das haben wir auch mitgenommen. Im Grunde genommen ist doch der Weg das Ziel und nicht der Gipfel. Wen kümmert es wenn man unterm Gipfel umkehren muss?! Denken wir mal an unsere besten Erlebnisse am Berg! An was denken wir da gleich? an den Gipfel? an die Höhenmeter? an die Leistung? Oder daran, was wir erlebt haben, wie wir uns gefühlt haben und mit wem wir unterwegs waren?
Was bleibt ist die Erinnerung; sie bleibt uns allen selbst
Mit freundlicher Unterstützung von
- Assibroker
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