„5. Labyrinth (VIII+)“, Kreuzkofel
Erstbegehung der Tour "5.Labyrinth" © Hannes Hofer, Josef Hilpold, Ulrich Viertler

Eine neue Linie am Hauptgipfel des Heiligkreuzkofel war Ziel von Josef Hilpolt (Hilti) und Ulli Viertler. Die Möglichkeit eine Route durch die steile Plattenwand mit ihren unzähligen Dächern zu finden war anfangs fraglich, schien aber bald möglich. Schlussendlich kostete dieses Abenteuer eine Menge an Nerven, fünf Jahre Zeit und einige blutige Schürfwunden, die nicht nur vom Klettern stammten.
Ein Bericht von Hannes Hofer

Eine Route wurde geschaffen, die uns Respekt lehrte, in einer Wand, die uns fünf Jahre in Schach hielt. Es war ein Labyrinth, das uns an die Grenzen unseres Kletterniveaus im alpinistisch ethischsten Stils führte

Hannes Hofer

Josef wählte einen markanten Riss am rechten Teil der Wand um die Tour zu beginnen. Alles andere als ein leichter Start, doch es sollte noch viel schwieriger kommen. Ulli, als zweiter an der Reihe, ausgerüstet mit jeglichem denkbaren Material, wagte sich vorsichtig an einer aufrechten Schuppe hoch und kletterte weiter über einen grifflosen Bauch der in einer Nische führte. Diese Seillänge sollte, nach Vorstellung der beiden, erst oberhalb von zwei weiteren Dächern enden. Nach einigen Versuchen das steile Gelände zu bezwingen war für Ulli Stopp, es gab keine Möglichkeit brauchbare Nägel zu schlagen.

Zwei Jahre später berichtete Josef mir von dieser Route und hoffte, dass ich ihn begleite, Ulli war zeitlich verhindert. Natürlich war ich mit voller Euphorie dabei.

Mit den E-Bikes radelten wir zur Heiligkreuz-Hütte und gelangten zu Fuß über typisch schwieriges Heiligkreuzkofel Gelände in eineinhalb Stunden zum Einstieg. Dieser Zustieg hatte es wirklich in sich, auch in der ersten Seillänge, dem 50 Meter Riss, gab es keine Gnade. Josef gab mir den Vortritt, um das eigentliche Problem der zweiten Länge zu lösen, doch auch ich wurde durch die Schwerkraft schnell ins Seil zurückgeholt. Im Seil rastend ging ich die Möglichkeiten Sicherungen anzubringen im Kopf durch. Über den letzten von Ulli gesetzten Nagel, der nicht einmal zur Hälfte eingeschlagen war, zog sich ein Fingernagel-breiter Riss. Dieser verlor sich zwei Meter höher in einer langen, strukturlosen Platte, darüber ein enormes Dach. Mit dem Plan, den kleinsten meiner Messerhaken zu schlagen, kletterte ich los. Am letzten Nagel angelangt, band ich diesen ab und setzte gleich den nächsten einen Meter oberhalb an – technisch hochnageln – das war mein Vorhaben. Die Klänge beim Schlagen des Nagels waren alles andere als vertrauenswürdig, kaum zur Hälfte drinnen machte es plötzlich ein dumpfes Geräusch und der Nagel schoss aus dem Riss. Ich blickte ihm hinterher, bis er im Geröllfeld aus meinem Sichtfeld verschwand. Die Klänge des herabfallenden Nagels konnte man noch einige Sekunden hören und belasteten zusätzlich meine Psyche. Der Nagel futsch und der Riss nicht tief genug. Was soll‘s, ich zuckte den nächsten, schlug in bis zur Hälfte rein und hängte meinen Cliff ein, vorsichtig testete ich mit meinem Gewicht die Belastung, es schien zu halten. Somit setzte ich einen weiteren Nagel an und versuchte, in meiner ungünstigen Position, ihn mit den Hammer zu treffen. Plötzlich rutschte der Nagel in dem ich hing abwärts, wissend, dass ich gleich fallen würde schrie ich „Hilti ich komme gleich“. „Dinghh“ der erste Nagel war raus. Durch die Beschleunigung des Sturzes spürte ich den Wind in meinen Haaren. Ein weiteres „Dinghh“, auch der zweite Nagel sollte mich nicht zum Stillstand bringen. Schließlich, nach ungefähr sieben Metern, spürte ich einen Zug aufs Seil und mein Sturz wurde gebremst. Erschrocken fiel ich in Hiltis Lachen ein und konnte mir einen Jubelschrei nicht verkneifen. Mit der jetzigen Gewissheit, dass die unteren Nägel so einiges aushalten würden, machte ich noch einen weiteren Versuch, doch auch dieser endete so ziemlich gleich. Enttäuscht kehrte ich zum Stand zurück und übernahm die Sicherung. Josef versuchte eine andere Variante, er wich nach rechts aus und konnte sich bis unterhalb des großen Daches nach oben nageln. Von dort meisterte er einen fünfzehn Meter Quergang mit reichlich Luft unter seinem Hintern. Immer wieder baumelten seine Füße im Nichts, bis er schließlich Stand machte und ich ihm folgte. In der nächsten Seillänge querte ich drei Meter höher über dem großen Dach wieder zurück: Während meine Füße unterhalb der Dachkannte ständig nach Tritten suchten, hielt

ich in meinen Händen immer gute Griffe und gelangte schließlich zu einem Podest. Dort schwang ich meinen Hammer und baute Stand, den wir auch gleich für den Rückzug benötigten, es war Schluss für Heute und hieß nur noch ab ins Wirtshaus.

Es war schon fast finster als wir zu unseren Bikes gelangten. Angekommen, montierten wir unsere Stirnlampen und fuhren sogleich los. Kurz wunderte ich mich, warum Josef seinen Helm auf seinem Rucksack und nicht auf dem Kopf trug. Egal dachte ich mir, er ist wohl alt genug um das selbst zu entscheiden; wir rauschten dem Tal entgegen. Natürlich durften gegenseitige Überholmanöver nicht fehlen, doch wie es der Teufel so will, wurde Josef sein Übermut zum Verhängnis. Im Schotter rutschte sein Vorderrad ab und er bremste wortwörtlich mit seinem Gesicht. Erschrocken sprang ich vom Rad und eilte zu Hilfe. Er winzelte am Boden, blutete an beiden Händen und natürlich auch am Kopf, seine Hose und T-Shirt zerrissen darunter tiefe Schürfwunden. Als ich ihm ins Gesicht leuchtete, fiel mir schnell etwas Schwarzes an seiner Stirn auf, „Lass uns mal schnell ins Krankenhaus fahren“, „Wieso was ist los“, „Nichts, nur ein Stein in deinem Kopf“ unsere Konversation. Auf dem Weg ins Krankenhaus zog Josef den Stein wie einen Pickel aus seiner Stirn, ich konnte fast nicht hinsehen. Einige Wochen Kletterpause hieß es nun, doch zum Glück war nichts Schlimmeres passiert.

 

Ein Jahr später kehrten wir zurück. Wieder mit den E-Bikes unterwegs, ließen wir es diesmal vorsichtig angehen. Trotz unserer neuen Besonnenheit, rutschte Hilti bei der Bergauffahrt unglücklich in einer Kehre aus: ein paar Kratzer an Händen und Knien, doch der Kopf blieb diesmal zum Glück heil! Mit einem 150 Meter Statik-Seil wollten wir den strengen Zustieg umgehen und vom Gipfel über die Livanos Route abseilen um dann in unsere rüber zu pendeln. Dieses Vorhaben gelang. Josef stieg in die vierte Seillänge ein und arbeitete sich in einer kompakten Verschneidung nach oben bis er zum geplanten Standplatz kam. Hilti richtete den Stand ein und wir erkannten sogleich, dass die nächsten Meter nur schwer absicherbar sein würden. Deshalb kletterte ich mit äußerster Vorsicht los, einen Standsturz wollten wir uns beide nicht ausmalen. Den gelegten Sicherungen vertraute ich nur wenig. Endlich war ich an einem guten Band angelangt und machte Stand. Als ich Josef nachsicherte bestätigte sich mein ungutes Gefühl. Beim jumaren löste sich ein Friend und Josef bändelte. Zum Glück hielt eine Sicherung ein Stück weiter oben, sonst wäre der Bändel noch um ein vielfaches größer gewesen. Am Stand kassierte ich einen bösen Blick, zu recht, es hätte schiefgehen können.

Daraufhin ein wunderbarer Moment, die Sonne war am untergehen und die Heiligkreuzkofelwand strahlte in orangen Abendlicht-Farben. Dies veranlasste Josef zur Eile, doch der Finsternis war nicht zu entkommen. Als er das Band erreichte, das zur Livanos Führe und dem Statikseil führte, war es bereits stockdunkel. Natürlich hatte ich meine Lampe vergessen und Josef seinen Jumar. Ich leuchtete mit Josefs Lampe von unten und er stieg im Finsteren mit meinen Jumar 100 Meter nach oben. Am Gipfel angelangt, hängte er mir das Aufstiegsmaterial ins Statikseil und ließ alles in die Tiefe fallen. Ich hörte das immer schneller werdende Klappern an den Felsen, kurz hielt ich die Luft an aus Angst Jumar und Rolle würden hängen bleiben oder gar verloren gehen. Schließlich hing ich mitten in der Wand und auf-prusiken würde bedeuten noch ewig unterwegs zu sein. In diesen Sekunden schossen mir Gedanken nach dem Sinn dieser Aktionen in den Kopf. Glücklicherweise ging alles gut, völlig außer Puste erreichte ich gegen 23.00 Uhr den Gipfel und fiel Josef in die Arme.

Ein weiteres Jahr verging. Die Abenteuer der vergangenen Saison waren verdaut und es hieß auf ein Neues. Wieder am Gipfel angelangt und bereit zum Abseilen merkte Josef, dass er seinen Gurt im Auto vergessen hatte! Nach dem Motto, es sollte nicht noch mehr Zeit bis zur Fertigstellung der Erstbegehung vergehen, zog er ein Seil aus seinem Rucksack und bastelte sich daraus einen Hüftgurt.

Ich konnte es nicht glauben, doch seine Gesichtszüge ließen mich erkennen, dass er es ernst meinte. Also seilten wir ab. In den letzten zwei Längen hin zum Gipfel hatte ich den Vortritt. Bis auf ein zehn- minütiges Gewitter verlief alles reibungslos. Bevor wir uns über das Vollenden der Tour so richtig freuten, wollten wir zuerst nochmals die gesamte Route abseilen, Fixseile entfernen, und einige Nägel nachschlagen. Doch irgendwie waren wir auch diesmal von Pech verfolgt, unser Seil verfing sich zwei Mal im selben Riss und natürlich hatte ich, aufgrund Josefs Gurtkonstruktion, immer den Vortritt zum hoch-prusiken. Etwas überrascht, dass auch dieser Tag noch gut ausgegangen ist, erreichten wir den Wandfuß und auch die Heiligkreuz-Hütte. Der Druck ließ nach und Freude machte sich breit. Nach einem Kraft spendenden Bier war unsere letzte Herausforderung das Mountainbike. Als wären unserer Fahrräder verhext, wurde diesmal ich davon abgeworfen. Mit diesen letzten Schürfwunden neigte sich unser Abenteuer langsam dem Ende zu.

Im Sommer 2020, glückte uns die Rotpunkt-Begehung der Tour. Eine Route wurde geschaffen, die uns Respekt lehrte, in einer Wand, die uns fünf Jahre in Schach hielt. Es war ein Labyrinth, das uns an die Grenzen unseres Kletterniveaus im alpinistisch ethischsten Stils führte und schlussendlich mit dem Ausgang direkt am Gipfel des berüchtigten Heiligkreuzkofel belohnte.

Hannes Hofer

Nachtrag:

Nur einige Monate nach der Rotpunktbegehung verunglückte Hannes Hofer bei einem tragischen Kletterunfall auf Sardinien. Der Alpenverein trauert um den jungen Alpinisten, und spricht den Eltern und Freunden von Hannes sein größtes Beileid aus. Er war ein angagiertes Mitglied und eine Berreicherung für die gesamte Kletterszene. Ihm glückten einige Erstbegehungen an verschiedenen Gipfeln sowie im Ausland, kletterte die „Nose“ und einige sehr schwierige Fels und Eistouren in unseren heimischen Bergen. Als Jugendführer beteiligte er sich aktiv in seiner Sektion Feldthurns, arbeitete in der Kletterhalle Vertikale Brixen und war ein Teil des Projekt Alpinist bei dem er mit Herzblut dabei war. Nun wird er vom höchsten Gipfel auf uns herabschauen und uns im Gedanken bei Abenteuern und Klettertouren begleiten.

Erstbegehung der Tour "5.Labyrinth" © Hannes Hofer, Josef Hilpold, Ulrich Viertler

Routeninformationen

„5. Labyrinth“

Anspruchsvolle und steile Wand Kletterei in kompaktem Fels. Absicherung mit Normalhaken, alle Haken wurden belassen.

Gebirge: Dolomiten

Gruppe: Kreuzkofel

Ausrichtung: West

Erstbegeher:

2015 – 2019, Rotpunkt Begehung am 24.06.2020

Hilpold Josef, Hannes Hofer und Ulrich Viertler

Schwierigkeit: VIII+

Länge: 300m

Seillängen: 8

Felsart: Dolomit

Ausrüstung: NAA, einen Satz Friends, Nägel und Hammer

Zustieg: Mit dem Sessellift zur Hl. Kreuz Hütte, Weg 15B folgen, diesen nach 300m verlassen und über dem Geröllfeld in das markant links ziehenden Band aufsteigen. Über 3er Gelände und Rinnen zum oberen Geröllfeld und nach links in Richtung des Heiligkreuz- Hauptgipfels zum Einstieg.

1,15h.

page1image987632

Abstieg:

Vom Gipfel über den Normalweg Nr. 7.

„Diese Route wurde mit Haken des AVS-Alpinfonds erstbegangen“