"Melodia dl chiet - Cresta dl infiern", Plattkofel
Erstbegehung der "Melodia dl chiet - Cresta dl infiern" © Martin Dejori, Alex Walpoth und Aaron Moroder

Die verwinkelte Welt aus bizarren Felszacken und steilen Wandfluchten der Langkofelgruppe bot schon zahlreichen Kletterern Platz für Abenteuer. Bei bestem Wetter gelang Aaron Moroder, Alex Walpoth und Martin Dejori in 2 Tagen eine neue Linie auf den Plattkofel. Der gesamte Anstieg teilt sich in zwei Abschnitte: Melodia dl Chiet auf den Torre Castiglioni und die Cresta dl Infieren zur Gipfelflanke des Plattkofels.

Die verwinkelte Welt aus bizarren Felszacken und steilen Wandfluchten der Langkofelgruppe bot schon zahlreichen Kletterern Platz für Abenteuer. 150 Jahre sind vergangen seit Paul Grohmann als Erster, zusammen mit Peter Salcher und Franz Innerkofler, auf dem Gipfel des Langkofels stand. Seither wurden alle wichtigen Erhebungen des Massivs bestiegen und etliche Touren in verschiedenen Schwierigkeitsgraden eröffnet. Große Alpinisten wie Emilio Comici oder Gino Soldà, haben in den imposanten Nordwänden oberhalb des Grödnertales ihre Spuren hinterlassen. Im Fokus der Kletterer stand meist der mächtige Langkofel mit seinen langen und anspruchsvollen Anstiegen. Der flache Nachbar blieb wegen der einfachen Erreichbarkeit über den Normalweg immer im Schatten der umliegenden Gipfel. Erst spät im 20. Jahrhundert wurden die steil über den Cunfinböden emporragenden Spitzen des Plattkofels von Alpinisten in Angriff genommen. Die zwei größten Türme rechts der Plattkofelrinne mussten bis in die Achtziger auf eine Besteigung warten. Sie tragen heute den Namen zweier erstklassiger Bergsteiger: Torre Vinatzer und Torre Castiglioni. Schaut man von der Seiser Alm zu den beiden Türmen auf, erkennt man, dass sie Teil eines majestätischen Felsgrates sind, welcher sich bis zur Westflanke des Plattkofels erstreckt. Nahezu fragil erscheinen einige der insgesamt sechs Türme.
Im Winter blickte ich während entspannter Schneeschuhwanderungen mit Gästen immer wieder zu den spektakulär aneinandergereihten Felsspitzen hoch. Irgendwie ließ mich der Gedanke nicht los, eines Tages auf ihnen zu stehen.
Ende des Sommers soll es endlich so weit sein. Ein Jahr war seit der Reise in die Türkei vergangen, wo ich zusammen mit meinen Freunden Alex und Aaron eine sehr schöne Route eröffnen konnte. Da sich dieses Jahr zeitlich leider keine längere Reise ausging, entschlossen wir zu Hause ein gemeinsames Abenteuer in Angriff zu nehmen. Wir fassten den Felsgrat am Plattkofel ins Auge und beschlossen zugleich eine neue Linie am Torre Castiglioni zu versuchen. Zwei Tage planten wir für unsere Unternehmung ein.
Bei bestem Wetter steigen Aaron, Alex und ich motiviert die Plattkofelrinne empor. Die Luft ist klar und sauber, das Ambiente wild und die steilen Wände um uns wirken fast einschüchternd. Wir fühlen uns trotzdem wohl. Schon oft haben wir dieses Gefühl verspürt, welches wir mit absoluter Freiheit verbinden. Die ersten Seillängen sind ein Vorgeschmack auf die wunderbare Kletterei, die folgen wird. Der Fels entpuppt sich als außerordentlich fest und lässt sich relativ gut absichern. Bald stehen wir unterhalb der steilen Wandpartie im Mittelteil des vierhundert Meter hohen Pfeilers. Über eine gelbe, überhängende Seillänge eröffnet Aaron den Weg nach oben. Nach längerem Suchen schafft er es einen Stand zu bauen. Der Fels ist hier teilweise sehr hakenfeindlich kompakt und man braucht einiges an Spürsinn, um geeignete Felsritzen für Haken zu finden. Alex beschreibt die darauffolgende Seillänge als eine der schönsten, die er jemals geklettert ist. Kein Wunder: Der gelb-graue Fels ist von bester Qualität und lässt sich nur mit mobilen Sicherungen absichern. Ein wahres Geschenk der Natur. Über steile Platten und Risse erreichen wir am späten Nachmittag den Gipfel des Torre Castiglioni. Unsere Blicke wandern zu den fünf Zacken, die noch folgen.
Nach einer kurzen Abseilstelle stehen wir in der Scharte zwischen Torre Castiglioni und Torre Vinatzer. Es steckt ein Haken direkt am Sattel. Wahrscheinlich seilt man sich von dort in eine Schlucht Richtung Plattkofelrinne ab. Der Abstieg schaut nicht gerade einladend aus und deshalb freuen wir uns drauf weiterzuklettern. Nach drei einfachen Seillängen stehen wir bei Sonnenuntergang am zweiten Gipfel unserer Überschreitung. Ein langer Abseiler bringt uns zur Stelle wo wir die Nacht verbringen werden. Unseren Haulbag, den wir bei dieser Begehung mit le saaac ansprechen, ist befüllt mit warmen Schlafsäcken und Essen. Eine gute halbe Stunde vergeht, bis wir das Biwakplätzchen für uns drei fertiggestellt haben. Mit erdigen und vom Hakenschlagen aufgeschürften Händen bereiten wir unser Abendessen vor. Couscous mit Käse und Thunfisch, ein wahrer Genuss. Unter dem Sternenhimmel und mit der Wand vor Augen, die am folgenden Tag ansteht, schlafen wir ein. Man wacht hin und wieder auf, spürt eine kalte Brise im Gesicht, schaut in die endlosen Weiten des Universums und schläft dann glücklich wieder ein.
Am Morgen macht sich Alex bereit den dritten Gipfel des Grates in Angriff zu nehmen. Der Fels ist immer noch von guter Qualität und die Kletterei weniger anspruchsvoll als am Tag zuvor. Wir kommen zügig voran und stehen schon bald am Standplatz unterhalb des Gipfels. Am höchsten Punkt angelangt rätseln wir, ob wirklich noch niemand vor uns an dieser Stelle stand. Wir werden es nie mit Sicherheit wissen, aber gehen stark davon aus, da es keine Spuren von vorherigen Begehungen gibt. Für uns drei ist es das erste Mal, dass wir auf einem unbestiegenen Gipfel stehen. Schon ein besonderes Gefühl, auch wenn es nur eine unbedeutende Erhebung in dieser schroffen, labyrinthischen Umgebung ist.
Die letzten drei Zacken sind sehr steil und über keine Seite leicht zu erreichen. Wir verspüren eine Ausgesetztheit die wir in den Dolomiten selten zuvor erlebt haben. Auf beiden Seiten geht es einige hundert Meter steil nach unten und man möchte keinen Rückzieher über eine der tiefen Schluchten antreten müssen. Über eines sind wir uns einig: Der leichteste und auch schönste Weg führt zum Gipfel des Plattkofel. Deshalb verlieren wir keine Zeit und richten die nächste Abseilstelle ein. Abseilen wechselt sich mit Klettern ab und bald stehen wir auf dem letzten der sechs Zacken. Wir blicken zurück zum frisch getauften Ciampanil dl Malan und sind überwältigt von der Schönheit und Ausgesetztheit des eben gekletterten Felsgrates. Die letzte Wand zum Gipfelplateau stellt keine Schwierigkeiten mehr dar und eingebettet im Nebel genießen wir die mystische Atmosphäre.
Zum Glück gibt es sie noch: Die wilden Ecken im Reich unserer wunderbaren Hausberge.
Text – Martin Dejori
Erstbegehung der "Melodia dl chiet - Cresta dl infiern" © Martin Dejori, Alex Walpoth und Aaron Moroder

Routeninformationen

 


Erstbegeher:

Aaron Moroder, Alex Walpoth, Martin Dejori

Datum: 

27-28.08.2019

Schwierigkeit:

VII+ A0 (VIII)

Länge:

1000 m

Zustieg:

Von Monte Pana Richtung Cunfinböden und von dort bis unter die Langkofelhütte, wo man auf dem Weg 527 nach links unter die gut sichtbare Plattkofelrinne quert. Die Rinne wird im untersten Teil von einer kleinen Felswand unterbrochen. Diese kann über eine kurze Kletterstelle (II-III) überwunden werden und man gelangt so über Schrofengelände zum Einstieg.

Abstieg:
Vom Ausstieg der Route steigt man über leichtes Gelände zum Gipfel des Plattkofel. Von dort über dem Normalweg zur Plattkofelhütte und dann zurück nach Monte Pana.

Beschreibung:
Der gesamte Anstieg zum Plattkofel teilt sich in zwei Abschnitte: Melodia dl Chiet auf den Torre Castiglioni und die Cresta dl Infieren zur Gipfelflanke des Plattkofels. Man überschreitet dabei folgende Gipfel: Torre Castiglioni, Torre Vinatzer, Primo Campanile del Sassopiatto, Secondo Campanile del Sassopiatto, Ciampanil dl Malan (Terzo Campanile del Sassopiatto) und Quarto Campanile del Sassopiatto.

Es handelt sich um ausgesprochen schöne Kletterei in meist sehr kompaktem Fels.