Erstbegehungen in Taraxa, Marokko
Erstbegehungen in Taraxa, Marokko © Luca De Giorgi, Gabriel Rossi, Peter Warasin, Armin Schwitzer, Katrina Robles und Ben O’Neill

Im Oktober 2019 gelangen Luca De Giorgi, Gabriel Rossi und Peter Warasin aus der Bozner Gegend, Armin Schwitzer aus dem Sarntal, Katrina Robles aus den USA und Ben O’Neill aus England mehrere Erstbegehungen im Atlas Gebirge bei Taraxa, Marokko

Luca De Giorgi, Gabriel Rossi und Peter Warasin aus der Bozner Gegend, Armin Schwitzer aus dem Sarntal, Katrina Robles aus den USA und Ben O’Neill aus England machen sich im Oktober 2019 auf den Weg nach Marokko mit dem Ziel eine nahezu unberührte Schlucht zu erschließen. Nach Ihrer Rückkehr berichten sie von ihren Abenteuern.

Wir zwängen uns zu siebt in Alfonsos Dreisitzer. Es ist ein alter, klappriger Ford Transit den er zu einem Wohnmobil umgebaut hat. Damit fahren wir von Ouarzazate nach Tinghir. “Africa, this is Africa!”, ruft uns Alfonso lachend zu und macht mit einer qualmenden Tüte im Mundwinkel, eine Kopfbewegung in Richtung Straße. Auf der staubigen Straße vor uns kommt uns ein hoffnungslos überladener PKW entgegen, dessen Ladung auf dem Dach, nämlich dicke, schwere Eisenträger vorne und hinten beinahe den Boden berühren. Vor uns zeichnet sich in weiter Ferne eine polizeiliche Straßensperre ab. Davon unbeeindruckt raucht er genüsslich seine Tüte weiter und fährt der Polizeisperre entgegen, um kurz davor anzuhalten. Die Polizei winkt uns durch und es geht weiter. Wahrscheinlich interessiert sich die Polizei für uns nicht, weil wir ein spanisches Kennzeichen haben. Alfonso, ein Baske mit knapp über 60 in seinen besten Jahren, spricht Baskisch und Spanisch. Er lebt in seinem Wohnmobil mit dem er seit 30 Jahren immer drei Wintermonate in Marokko verbringt. Um zu klettern und neue Klettertouren einzurichten, erzählt er uns. In der Schlucht von Todra hat er ganze Sektoren eingerichtet. Meistens alleine in technischer Kletterei.

In Tinghir machen wir halt und kaufen genügend Verpflegung ein, um acht Personen sechs Tage lang ernähren zu können: Eier, Kartoffeln, Couscous, Nüsse, Milchpulver, Datteln, Gemüse, Zucker, Tee, usw. Dann geht es weiter nach Tamtatouchte, wo wir bei Jawad, in seiner Kasbah dem “Auberge Hostel Traditionell” für diese Nacht unterkommen. Jawad, ein geschäftiger Berber aus Tamtatouchte, hat vor einiger Zeit Taraxa, unser Ziel, entdeckt. Taraxa ist eine nahezu unberührte Schlucht welche etwa in 3 Stunden zu Fuss erreichbar ist und sich in der Steinwüste westlich des Ortes befindet. Jawad möchte einen Anreiz für Kletterer aus der ganzen Welt schaffen ihm einen Besuch abzustatten, um seine äußerst empfehlenswerte Gastfreundschaft in Anspruch zu nehmen und in seiner Gegend zu klettern. Jawad hat für den nächsten Tag bereits vier Mulis mit den dazugehörenden Mulitreiber organisiert um unser schweres Gepäck in die Schlucht zu befördern.

Am Morgen laden wir alles auf die Mulis und wandern los. Drei Stunden später sind wir bei der Schlucht. Der für Kletterer interessante Teil ist knapp einen Kilometer lang und die Wände sind bis zu 200 m hoch. Die Kalksteinwände sind orange gefärbt und von Wind und Wasser rau bearbeitet. Ganz aufgeregt zeigen wir uns Risssysteme, Platten und Dächer, hinter jeder Windung der Schlucht eröffneten sich neue Möglichkeiten. Mögliche Linien werden diskutiert und Teams gebildet. Leider ist es heute schon zu spät, aber morgen kann es endlich losgehen. Am Ende der Schlucht schlagen wir unsere Zelte auf. Ein Nachmittagsgewitter geht nieder und wir schleichen in unsere Zelte, die wir gerade fertig aufgebaut haben. Es donnert und wir liegen im Halbschlaf. “Schlammlawine” hören wir von draußen rufen. Wir hören wie Steine über die steile Böschung kollern. Wir stürzen aus dem Zelt und tatsächlich – eine kleine Schlammlawine! Der steinige, erdige Wüstenboden ist durch das Gewitter lebendig geworden. Wir versuchen die Wassermassen mit Steinen von unseren Zelten weg zu lenken. Zum Glück ist das Grobe nach einer Stunde zu Ende.

Tag für Tag ziehen wir in verschiedenen Teams in die Schlucht und eröffnen neue Touren. Dank den nicht allzu hohen Wänden kommen wir fast immer in einem Tag durch. So gut es geht, benutzten wir nur mobile Sicherungsgeräte, aber wo der Fels schlecht ist oder in plattigen Passagen greifen wir zur Bohrmaschine. Wir sind schwer bewaffnet mit drei Bohrmaschinen und ca. 150 Bohrhaken. Der Alpenverein Südtirol und Mountain Spirit haben uns mit Material und vorteilhaften Preisen unterstützt. Einige von uns sind am liebsten im leichten Fels und nur mit mobilen Sicherungsgeräten und Normalhaken unterwegs, andere lieben die Herausforderung und müssen manchmal bohren. Alfonso hingegen ist unser Techno-Spezialist. Mit Handbohrer, Copperheads, Trittleitern und drei Hooks bewaffnet kapitulieren bei ihm auch die kniffligsten Passagen. Manchmal allerdings nicht beim ersten Versuch, aber nach einer Joint-Pause geht’s dann meistens doch.

Sechzehn neue Touren sind in den letzten Tagen entstanden. Sechs Sportkletterrouten bis zu 7b und zehn Mehrseillängentouren mit alpinem Charakter bis zu sechs Seillängen lang und vom IV. bis zum VIII. Schwierigkeitsgrad. Jeder von uns hat ein paar tolle Längen erstbegangen, obwohl es uns viel Mühe und Moral gekostet hat. In einem fremden Land, fernab von anderen Menschen und ohne moderne Rettungsmöglichkeiten wurde jeder Zug doppelt und dreifach abgewogen. Außerdem ist keiner von uns besonders geübt im eröffnen neuer Touren. Jeder der das mal probiert hat weiß, dass es mental einen großen Unterschied macht, wenn man weiß, dass die Linie möglich ist und schon begangen wurde oder eben Neuland ist. Wir haben zwei kleine Sportklettersektoren erschlossen, was wohl auch dem Umstand zu verdanken ist, dass wir zwischendurch auch einen gemütlichen Tag nötig hatten.

Wir genießen diese Tage völliger Abschottung. Wir haben fast keinen Kontakt zur Außenwelt und bewegen uns wie in einer Blase. Aufstehen, Frühstücken, Klettern, Abendessen, am Feuer sitzen und früh schlafen gehen. Es ist Oktober und nach Sonnenuntergang empfindlich kalt. Besonders gerne sitzen wir deshalb am Abend ums Lagerfeuer. Wir tauschen Klettergeschichten aus und planen den nächsten Tag. Nach einer Weile sind wir auch dafür zu müde und starren nur mehr in die Flammen. Oder halten nach Sternschnuppen Ausschau. Das funkelnde Firmament erlaubt uns äusserst tiefe Blicke in das Weltall. Nach einer Woche müssen wir leider Taraxa verlassen, denn unser Urlaub ist vorbei. Es tat gut für ein paar Tage auf sich selbst gestellt zu sein und die Ruhe des Atlasgebirges zu genießen. Obwohl es uns allen ausgezeichnet gefallen hat, sind wir froh wieder in die Zivilisation zurückzukehren. Endlich wieder eine warme Dusche und trinkbares Wasser aus dem Wasserhahn! Eine kleine Erinnerung haben wir noch immer: Unsere Halbseile und Teile unserer restlichen Ausrüstung riechen viele Monate nach unserer Rückkehr noch immer sehr penetrant nach den vielen hunderten Ziegen die unser Lager tagtäglich besucht haben um an der Tränke Wasser zu tanken.

Für diejenigen die es beim Klettern gern etwas abenteuerlicher haben, ist Taraxa ein guter Tipp. Es gibt noch reichlich Möglichkeiten für weitere Erstbegehungen und einiges zum Wiederholen. Das Gebiet ist noch praktisch unbekannt und wegen der Distanz zur nächsten Straße wird es noch lange so bleiben. Wer sich einige Tage in die Wildnis absetzen will, um in Ruhe zu klettern, ist hier genau richtig.

Weitere Informationen sowie eine detaillierte Routenbeschreibung findet man hier:

https://www.thecrag.com/climbing/morocco/haut-atlas/area/2962522611

Text: Peter Warasin, Luca De Giorgi und Armin Schwitzer

Erstbegehungen in Taraxa, Marokko © Luca De Giorgi, Gabriel Rossi, Peter Warasin, Armin Schwitzer, Katrina Robles und Ben O’Neill