Pfunderer Höhenweg © Martin Costadedoi

Höhenwanderung mit Anspruch

Mehrtageswanderungen werden immer beliebter, so auch der Pfunderer Höhenweg. Das ist gut, aber nicht alle sind den Herausforderungen der 71 Kilometer langen Strecke gewachsen. Immer wieder kommt es zu Unfällen, teilweise auch mit tödlichen Folgen.

von Magda Jöchler, freischaffende TV-Journalistin und seit 2021 Hüttenwirtin auf der AVS-Brixner Hütte (Bergeerleben 3/2022)

Einsam, ruhig, unberührt – in kaum einer Tourenbeschreibung über den Pfunderer Höhenweg fehlen diese Worte. Jedes dieser Adjektive trifft zu und zieht immer mehr Wandernde an. Sie sind auf der Suche nach einem Geheimtipp, der nicht schon eine Million Mal bei Instagram geteilt wurde. In den „grünen Pfunderer Bergen“ werden sie fündig: mit Blumen übersäte Wiesenhänge, Bergseen, Steinböcke in freier Wildbahn und dazwischen 3.000er, die man mal eben mitnehmen kann. Dieses einzigartige Bergerlebnis hat aber Herausforderungen in petto, denen sich Wandernde bewusst sein müssen. Der 71 Kilometer lange Höhenweg verbindet Sterzing mit St. Georgen bei Bruneck und wird üblicherweise in 5 Etappen mit Start am Bahnhof Sterzing bewältigt. Fast durchgehend verläuft der Weg zwischen 2.000 und 3.000 Metern Meereshöhe. Insgesamt kommt man so auf 5.770 Höhenmeter.

Pfunderer Höhenweg © Julia Strasser

Ausdauer

Wer den Pfunderer Höhenweg begehen möchte, braucht eine sehr gute Kondition und einen langen Atem. Für die Gehzeiten von täglich 6 bis 9 Stunden und mehr als 1.000 Höhenmeter sollten Wandernde eine gute Langzeitausdauer mitbringen, d. h. die Fähigkeit, lange Strecken mit niedrigem Puls zu gehen. „Ein bisschen Muckibude im Winter reicht da nicht“, sagt Much Weissteiner, der Hüttenwirt auf der Edelrauthütte hat schon Tausende Höhenweg-Begeher gesehen. Die 3. Etappe von der Brixner Hütte zur Edelrauthütte ist die Schlüsselstelle. Mit 16 Kilometern, 4 Scharten, Blockgelände und seilversicherten Stellen mit Absturzgefahr ist sie nicht nur die längste, sondern auch technisch schwierigste Etappe. Immer wieder kommt es vor, dass Wandernde die Gehzeit von 9 bis 10 Stunden unterschätzen und Much oder seine Mitarbeiter sie abholen müssen, den schweren Rucksack übernehmen und mit einem heißen Tee den unterkühlten Körper für die letzten Meter auf Vordermann bringen. Aus Respekt vor dieser Etappe planen manche deshalb das Brenninger Biwak als zusätzliches Etappenziel und Unterkunft ein. Haben andere Wandergruppen dieselbe Idee, reichen die 6 Plätze in dem ehemaligen Schafstall nicht aus und eine Übernachtung im Freien bleibt die einzige Alternative. Selbst im Hochsommer reicht ein Hüttenschlafsack dafür nicht. „Wer diese Etappe ohne Übernachtung im Biwak nicht schafft, ist auf diesem Höhenweg aber sowieso falsch“, analysiert Much. Neigt sich die Kraft für die 5 Etappen dem Ende zu, dann schleichen sie sich ein: kleine Stolperer und unachtsam gesetzte Schritte. An besonders ausgesetzten Stellen können sie tödlich sein. So geschehen im Sommer 2021.

4 Freunde waren auf der Höhe des Brenninger Biwaks unterwegs, als einer von ihnen stolpert und 250 Höhenmeter abstürzt. „So etwas kann natürlich auf jedem Wanderweg passieren, hier aber hat so ein Fehler fatale Folgen“, sagt Raimund Seebacher von der Bergrettung Vintl. Für den Wanderer aus Deutschland kam jede Hilfe zu spät. Dieser Einsatz war für seine Kollegen von der Bergrettung kein alltäglicher am Pfunderer Höhenweg. Häufiger werden sie wegen typischer Wanderunfälle mit leichten Verletzungen durch Umknicken, Stolpern oder Ausrutschen gerufen. Wer den Höhenweg plant, sollte deshalb noch 2 Voraussetzungen mitbringen: Trittsicherheit & Schwindelfreiheit.

Pfunderer Höhenweg © Julia Strasser

Querungen im abschüssigen Gelände

Vor allem bei unerfahreneren Wandernden weckt der Begriff „Höhenweg“ Bilder von einem breiten Weg, der auf großer Höhe gemütlich von Hütte zu Hütte führt. Das mag bei manchen Weitwanderwegen der Fall sein, beim Pfunderer Höhenweg muss man sich aber einen Steig vorstellen, auf dem teilweise gerade mal 2 Füße nebeneinander passen. Nicht selten muss man diesen Steig suchen, z. B. wenn er durch einen Bach führt, der nach Regenfällen stark angeschwollen ist. Das Gelände daneben fällt mit bis zu 40 Prozent oft Hunderte Meter nahezu kerzengerade zu Tal. Vor allem an solchen Stellen kann es passieren, dass der Weg nach Regenfällen abrutscht und ganz weg ist. An einer besonders heiklen seilversicherten Stelle zwischen der Dannelscharte und dem Brenninger Biwak, hat so eine Beschädigung im Sommer 2021 zu einer wochenlangen Unterbrechung geführt. Der Untergrund wird hier von einem Verbund aus Stein und Erde zusammengehalten. Bei längeren Regenfällen kann sich dieser Verbund lösen und abbrechen. Aufgrund der Länge des Höhenwegs werden solche Schäden nicht immer sofort bemerkt und behoben. Wandernde müssen sich dessen bewusst sein und im Zweifelsfall auch mit einem beschädigten Weg zurechtkommen und die abgerutschte Stelle großräumig umgehen. In so einem Fall sind alpine Erfahrung, Orientierungsvermögen und Trittsicherheit gefragt. Martin Costadedoi ist dafür zuständig, Schäden wie diese zu beheben. 2-mal pro Jahr macht der Wegewart vom AVS Brixen einen Kontrollgang am Pfunderer Höhenweg, hackt Wege aus und kontrolliert die Verankerung der Seilversicherungen. Als starke Regenfälle in der ersten Julihälfte 2021 hinter der Dannelscharte einen Teil des Weges den Hang hinuntergespült haben, stand er ratlos vor einem steilen Loch. Eine schnelle Instandsetzung schien unmöglich, also legte er einen neuen Weg an, eine Art „Umfahrung“. Als er am 17. August vom tödlichen Absturz des deutschen Wanderers nahe seiner Wegarbeiten hörte, war sein erster Gedanke: „Scheiße! Natürlich denkt man gleich, dass der neue Weg oder das Seil nicht gehalten haben“, sagt Costadedoi. Der Weg hat gehalten, der Unfall passierte woanders. Eine Rolle dürfte aber auch ein weiterer Faktor gespielt haben: Wetter.

Wie so oft im Sommer 2021 hat es auch in der Nacht vor dem Unfall geregnet. Als die 4 Männer morgens von der Edelrauthütte Richtung Brixner Hütte aufbrechen, sind die Steine am Weg und die Metalltritte, die 20 Meter senkrecht zur Gaisscharte hinauf führen, noch nass. Für die Gegend ein durchaus übliches Szenario – die Pfunderer Berge liegen am Alpenhauptkamm und somit an der Wetterscheide. Regnet es auf der Nordseite, kommt die Gegend südlich rund um den Höhenweg meist auch noch in den Genuss. Die fast bis unter die Berggipfel und -kämme grasbewachsenen Hänge profitieren davon und leuchten bis in den Spätsommer sattgrün, man wandert wie in einer Filmkulisse von „Herr der Ringe“. An besonders ausgesetzten Stellen kann der Regen aber zum Problem werden. Neben rutschigem und aufgeweichtem Untergrund gesellt sich oft Nebel dazu, der die Orientierung verunmöglicht. Die einsam verträumte Gegend kann so schnell zum Albtraum werden. Von einer Begehung wird bei diesen Bedingungen dringend abgeraten. Der Niederschlag bleibt auch im Winter nicht aus. Bei Skitourengehern ist das Gebiet deshalb besonders beliebt. Bis der Schnee im Sommer aber auf den bis zu 2.800 Meter hoch gelegenen Scharten geschmolzen und der Höhenweg begehbar ist, kann es nach schneereichen Wintern deshalb bis Mitte Juli dauern. Neben der Absturzgefahr verunmöglichen vor allem die vom Schnee verdeckten Wegmarkierungen auf Steinen und Felsen am Boden eine Begehung. Das kann bei kleineren Schneefällen im Sommer ebenso ein Handicap werden. Und wenn wir schon beim Thema Wetter sind, kommen wir gleich zum nächsten großen Thema: Ausrüstung.

Pfunderer Höhenweg © Martin Costadedoi

Der Pfunderer Höhenweg:

1978 von Lutz Chicken geplant und eröffnet

Start: Bahnhof Sterzing

Ziel: St. Georgen/Bruneck

Länge: 5 Tagesetappen | 71 Kilometer Länge | 5.770 Hm im Anstieg

Hütten: Simile Mahd Alm, Brixner Hütte, Edelrauthütte, Tiefrastenhütte

Notunterkunft: Brenninger Biwak

Beste Jahreszeit: Mitte Juli bis Anfang Oktober

Schwierigkeiten: Kleine versicherte Kletterpassagen

Voraussetzungen: Trittsicherheit, Schwindelfreiheit, gutes Orientierungsvermögen, gute Langzeitausdauer, stabiles Wetter, leichtes Gepäck (max. 10 kg)

Vom Wetter und der richtigen Ausrüstung

Es gibt kein schlechtes Wetter, nur schlechte Ausrüstung – dieser Spruch ist wahrscheinlich eine Erfindung der Sportbekleidungsindustrie, einen wahren Kern hat er trotzdem. Wie bei anderen Höhenwanderungen auch sollten deshalb im Rucksack nicht fehlen: knöchelhohe Bergschuhe, kälte- und regentaugliche Kleidung, Handschuhe, Mütze, Sonnenschutz, kurze Hose und T-Shirt, Hüttenschlafsack, Erste Hilfe-Package, Smartphone mit Notfall App (SOS EU ALP), kleine Jause, Müsliriegel, Wasserflasche, Stirnlampe. Klingt viel? Nicht, wenn man intelligent packt. „Ein zu schwerer Rucksack raubt nicht nur unnötig Kraft, sondern beeinträchtigt auch das Gleichgewicht“, sagt Raimund Seebacher. Der Rucksack sollte deshalb idealerweise nicht schwerer als 9 bis 10 Kilogramm sein. „Viele machen den Fehler und tragen literweise Wasser mit sich“, erzählt Much Weissteiner. Die Pfunderer Berge sind mit vielen kleinen Bächen und Seen gesegnet, wo man leere Trinkflaschen regelmäßig auffüllen kann. Ähnlich verhält es sich mit essbarem Proviant. Auch hier reicht eine kleine Wegzehrung mit belegtem Brot, Keksen und Müsliriegeln für den Hunger zwischendurch. Um den großen Hunger kümmern sich die Hüttenwirte mit einem ausgiebigen Abendessen und Frühstück. Wenn du die notwendige Voraussetzung für die beschriebenen Bedingungen mitbringst, dann heißen wir dich herzlich willkommen am Pfunderer Höhenweg! Die einzigartige Landschaft (Herr der Ringe!) und Tierwelt, die gut geführten Hütten und die sportliche Herausforderung werden dich nicht enttäuschen. Wichtig ist, dass du deine eigenen Fähigkeiten ehrlich und realistisch einschätzt. Denn die Hüttenwirte können dir vielleicht kurz den Rucksack abnehmen, die eigene Leistungsfähigkeit kannst aber du selbst am besten einschätzen.

Beiträge rund ums AVS-Magazin „Berge erleben“